Montag, 5. Juli 2010

morgenmädchen

aus meinen reise-aufzeichnungen: wenn der tag erwacht, erwachst auch du. ein teil von dir wird sich nun jedoch zur ruhe begeben. ein teil von dir schläft immer.


heute im zug, ca. um 6.30. der vollmond stand über der einsamen landschaft, die wir durchfuhren, ein perfekter vollmond, riesengross, wie ein gigantischer planet, eine 2. erde. ich dachte noch im halbschlaf, dass ich nun fotografieren sollte, doch die kamera lag in diesem augenblick vergessen auf dem küchentisch, in der dunklen küche, wo sie doch das licht hätte einfangen sollen.
ich war müde, als hätte ich wochenlang nicht geschlafen, ich döste..und erwachte bei sonnenaufgang. bald würde es schneien, die luft war eiskalt, ich war verschlafen und fröstelte, hineingekuschelt in meinen sitz am fenster. der nebel hob sich und liess buntbelaubte bäume erkennen, rauch aus kaminen, die ersten lichter in den fenstern.

ein eigenartiges gefühl, es sich in einem leeren abteil gemütlich einzurichten, beinah wie der versuch, ein stück zuhause mitzunehmen, auf reisen, in einem beinah menschenleeren zug. ich wünschte mir eine decke, am liebsten handgestrickt und warm und kuschelig, oder einen quilt über meinen beinen, und ein grosses wolltuch über meinen schultern.
eine katze auf dem schoss, bienenwachskerzen und heissen kakao.
ich wünschte mir, zuhause zu sein.
im warmen weichen morgennebel mit verschlafenen augen und einem kinderherz


wie anders gestaltet sich eine nächtliche fahrt in einem beinah menschenleeren zug. das abteil leer, die füsse lässig auf dem gegenüberliegenden sitz, rauchend, das fenster geöffnet. der wind bauscht die vorhänge, fährt in die haare und unter die
kleidung. die geräusche des zuges, das schleifen auf den schienen, quietschendes metall und ein zischeln von funken
natürlich kein künstliches licht, unsereins braucht kein licht,
wir sehen in der nacht
wie gespenster
der mond brüllt uns entgegen und unverletzlich lachen wir ihm blutrot entgegen


wie schizophren, murmelt dir die morgenkreatur ins ohr und sieht verletzlich wie aus gesprungenem glas in nebel, dunst
und verquirlte farben hinaus,
hilflos, verletzlich im morgenrot gefangen
ein tag der leiden wenn du menschen begegnest
ein guter tag, wenn du ihnen entkommst

du kleiner märtyrer
die nächtliche kreatur kotzt dem morgenmädchen blut ins gesicht
darunter reflektiert gesprungenes glas die farben des tages