Freitag, 15. Oktober 2010

der schlafwandler

die rotunde glänzte regennass, vom mondlicht beschienen, er stand im schatten der alten schiefen häuser, darüber der mond, bleich, knochenbleich, und er lauschte, zu den alten häusern empor, zum fenster, dem einen
unter dem er schon oft gestanden, traumverloren, schlafwandelnd, voller hoffnung

er lauschte zu dem einen fenster empor, das geöffnet war, dahinter die blanke schwarze leere eines mitternächtlichen zimmers
der vorhang wehte heraus, aus dem fenster, im nachtwind, ein flügel, ein engelsflügel aus zartem spitzengewölk, flatterte im nachtwind als nebelphantom

dahinter das zimmer in mitternächtlicher schwärze
und er
voller hoffnung
im schatten verborgen

Sonntag, 10. Oktober 2010

geister

die weisse katze mit den grauen flecken sass im vorgarten des alten holzhauses. das haus war schon vor jahren, wenn nicht jahrzehnten, verlassen worden, zumindest sah es so aus, denn seine dunkelgrüne farbe blätterte in flocken ab und schälte sich in langen streifen von der fassade aus trockenem holz. die staubblinden fenster verwehrten den blick auf die innenräume.

die räume waren gewiss leer, aber das haus selbst weckte die assoziation mit alten möbelstücken, die in dem grauen dämmerlicht, das spärlich durch die fenster drang, ihren verstorbenen besitzern nachträumten. erinnerungen an lang vergangene tage. ein kleiner wintergarten, der früher eine veranda gewesen sein mochte, verlieh dem ansonsten einfachen, einstöckigen haus eine spur altmodischer, urbaner eleganz.
jemand warf noch immer werbematerial in den briefkasten.

bunte prospekte und flugzettel quollen aus dem briefkasten oder lagen auf der erde vor der tür. sonnenschein und regen hatten ihre einstmals leuchtenden, grellen farben zu verwaschenen pastelltönen gebleicht, aber man konnte einige davon noch immer lesen. hochglanz. diese prospekte halten sich lang, sie verfallen langsamer als dünnes zeitungspapier, ihre farben bleichen erst nach langer zeit aus. einrichtungshäuser und supermärkte bewarben ihre produkte in auffallend lauten farben und worten, doch abgesehen von vereinzelten passanten war niemand da, der sie hätte lesen wollen oder können. und so verblassten bilder zu sinnlosen farbklecksen, wandelten sich slogans zu dadaistischen botschaften. eine lebensmittelkette lockte mit lettern in erloschenem signalgelb. darunter prangte das bild eines bräunlichen objekts, das im besten falle noch als unflätig zu bezeichnen wäre und einem hundehäufchen nicht unähnlich war. ein werbeflyer eines kosmetikdiscounters lag quer über dem prospekt. "nur zur äusseren anwendung", teilte die bleiche schrift des flyers mit und erklärte doch so manches.

regen fiel auf das schindelgedeckte dach und auf das grauweisse fell der katze. sie gähnte und streckte sich durch. machte sich auf den rückweg. als sie auf die allee hinauslief, trafen wind und regen sie nun ungeschützt. sie miaute kläglich und lief nun schneller im schutz der bäume davon.


oben auf dem hügel stand ein prächtiges chinesisches restaurant.
warum es sich so hartnäckig hielt, wusste niemand, denn es hatte kaum besucher. die gähnend leeren räume waren spärlich beleuchtet und glichen hallen oder gängen, in denen die weissen lampions im windzug hin und herschwankten. aquarien mit gelangweilten goldfischen und skalaren besetzten ecken und nischen und warfen inseln aus gründämmerlicht in die gespenstige grauweisse umgebung.

wasser rieselte über steine und pflanzen, die an den rändern der aquarien in üppiger vegetation gediehen, wasser sprudelte auch aus aufgesperrten rachen von steinernen löwen und drachen, die gleich wasserspeiern auf den beckenrändern sassen und mit toten glotzaugen in die gänge starrten...


nachtrag: geister war eigentlich als kurzgeschichte gedacht. doch wie es oft beim geschichtenschreiben so ist, spalten sich vom beginn dieser geschichte andere geschichten ab. eine davon findet man hier im trans atlantis express, sie heisst "das verlassene haus". in dieser geschichte wird das sonderbare chinarestaurant besucht, im traum oder einer vision, und man kann dem schläfer oder visionär nur die daumen drücken, denn das, was er dort erlebt, ist nicht leicht zu ertragen. eine andere geschichte, die den besuchern meiner website dark city vielleicht bekannt ist, heisst "der schmetterling und der jadevogel". alle geschichten hatten ihren ursprung hier.

das kleine alte haus gab es wirklich. ich blieb oft davor stehen und sah in die staubigen fenster. manchmal reflektierten sie das licht auf eigenartige weise. dann dachte ich, ich könnte schemen von personen erkennen. einmal habe ich ihnen gewunken und ich fühlte ein lächeln als antwort. wer weiss schon, was real ist und was nicht? manchmal ist die ratio völlig fehl am platz. vor allem, wenn es um liebe geht, und ich liebte dieses kleine haus sehr. als es dann abgerissen wurde, war es so, als wäre ein lieber, alter bekannter gestorben.