Montag, 31. Mai 2010

"I like people who shake other people up and make them feel uncomfortable."

Jim Morrison

Sonntag, 23. Mai 2010

der längste tag seines lebens

der mann hatte gar keine eile, von hier wegzukommen. was gerade ihn selbst am meisten erstaunte. er hatte nun freizeit. wie sehr er dieses wort gehasst hatte. regelrecht verabscheut. freizeit. was für loser. menschen, die keiner ordentlichen arbeit nachgingen, menschen, die ihre gesamte zeit damit verbrachten, in der stadt rumzuhängen und leute anzugaffen, mit dümmlich leerem gesichtsausdruck. was für versager sie doch waren, diese menschen mit zuviel freizeit.
nicht mal wirtschaftlich waren sie zu gebrauchen. wenn man schon so viel zeit hat, in die stadt zu gehen, sollte man wenigstens gehörend die kreditkarten glühen lassen, das war immer sein credo nummer eins gewesen. nur nie nutzlos sein. rein in die geschäfte und denen mal zeigen, wozu ein nützliches mitglied der gesellschaft fähig ist. die wirtschaft ankurbeln. und nach der arbeit mit den kollegen einen draufmachen, die teuersten speisen bestellen, und beim wein nicht zögerlich sein, der beste ist gerade genug für uns businessmenschen. der wert eines menschen wird daran gemessen, wieviel kohle er hat, ist ja klar. braucht man gar nicht darüber diskutieren, oder? sind eben die dinge des lebens, die man schon mit der muttermilch aufsaugt. nur loser wissen nicht bescheid. und er war nie ein loser gewesen. hatte es weit gebracht in seiner sparte. man blickte zu ihm auf. man hörte auf ihn, ja, man hatte einen heidenrespekt. er hatte einen der top-parkplätze vor der firma. sein bmw stand jetzt da, wo er hingehörte. sein neuer bmw. und seine sekretärin war zucker.

das einzige, was er eben nicht hatte, war freizeit. er hätte sowieso nicht gewusst, wohin er gehen sollte. vielleicht in die stadt, für seine jeweilige freundin was hübsches schweineteures einkaufen, damit sie ihn umso mehr wollte. damit sie sich bei ihren freundinnen blicken lassen konnte. alles sündteure callgirls, da war er ohne illusion. nur dass sie das alles unter liebe abbuchten. er tat es nicht und er war immer damit gut gefahren. liebe? zu seiner arbeit, ja. die firma war seine wahre liebe, immer gewesen. bis zu dem tag...also eigentlich gestern...gestern abend, genau gesagt.

es war ein stinknormaler arbeitstag gewesen. er hatte die streicheleinheiten der zuckermaus im vorzimmer kassiert wie an jedem tag, hatte sich dann mit einigen der üblichen verdächtigen zum mittagessen verabredet, fast alles speichellecker, die an seinen job wollten und ihn umschwärmten wie die fliegen den abfall. schlechter vergleich. jedenfalls zog er immer eine meute bewunderer hinter sich her. man wollte von ihm lernen. seine erfolgsgeschichte hören. und natürlich seine börsentips, darauf waren sie alle scharf. als sie dann gemeinsam in der kantine sassen - für mehr war mittags kaum zeit - war ihm trotz gedränge und geschiebe zwischen den tischen aufgefallen, dass eine gestalt ganz allein an einem tisch gesessen war. ein kollege, einer der besten, der härtesten. ein macher. er sass dort ganz allein, was ungewöhnlich war und man schien seine anwesenheit nicht zu bemerken. die gestalt sass dort, in gedanken versunken, im grauen zwielicht des herbsttages, vor einem glas bier. sein blackberry lag vor ihm auf dem tisch, das handy daneben. unbenutzt. einigermassen seltsam für einen wie den dort. einen, der immer telefonierte, dessen stimme man im stimmengewirr der kantine immer klar ausmachen konnte. er sah noch einmal genauer hin. sein kollege hatte die krawatte gelockert und den hemdkragen geöffnet. er sah aus, als wäre ihm totenübel. aber bald vergass er ihn über der konversation. er hatte andere probleme. sein terminkalender war randvoll und der tag würde noch lang werden.
am abend, als er das bürogebäude verliess, sah er, dass im büro des kollegen noch licht brannte. überstunden. nicht übel. guter mann.

nun befand er sich hier an diesem strand an einem fahlen herbstmorgen, blickte starr aufs wasser und hatte den längsten tag seines lebens vor sich. das wasser sah grau aus, bleiern, unfreundlich. nicht gerade ein tag, an dem man normalerweise an den strand geht, nicht freiwillig, es sei denn, man musste mit sich selbst allein sein. zum ersten mal seit langem hatte er nicht zuhause geschlafen. er war schon zuhause angekommen, hatte es sich vor dem essen mit einem aperitiv vor dem fernseher bequem gemacht, die nachrichten eingeschaltet. dann hatte sein handy geläutet. er hatte den anruf entgegen genommen. 5 minuten danach war er wortlos aufgestanden und hatte seine gemütliche, luxuriöse wohnung verlassen, war in seinen wagen gestiegen und die ganze nacht ohne ziel herumgefahren, bis er sich schliesslich bei morgengrauen hier gefunden hatte, an einem einsamen strand, wo zur hölle auch immer der war. er wusste es nicht. konnte am anderen ende der welt sein und es war ihm egal. genauso wie sein handy, das einsam und stundenlang in seinem auto vor sich hingeläutet hatte.

veruntreuung von firmengeldern. ein riskanter aktiendeal, der schiefgegangen war. er nickte bitter. kann passieren. wenn man sich zu viel zutraut, wenn man es gewohnt ist, immer die richtigen entscheidungen zu fällen, dann konnte sowas passieren. es war das schlimmste, was passieren konnte, aber es konnte nun mal passieren und irgendwie konnte man immer noch etwas geradebügeln, man war ja erfinderisch, man konnte vielleicht noch einiges davon retten, zumindest es versuchen. kein grund, sich einfach so...
er rauchte sich eine zigarette an. irgendwann in dieser nacht hatte er wieder zu rauchen begonnen. einfach gesprungen. der mann hatte familie. eine frau und zwei kinder. und alles, was er ihnen hinterlassen konnte, waren ein paar zeilen, dass es ihm leid täte. klar tat es ihm leid, das hätte er gar nicht erwähnen müssen. keine entschuldigung würde ausreichen, gar keine. dass er ein versager war. so hatte er geschrieben. er hätte versagt und nun war alles zu ende. aus. vorbei. jahrzehntelang geschuftet wie ein blöder, dann eine amoktat und schon war alles vorbei.
er sah den kollegen noch immer vor seinem geistigen auge im herbstlichen zwielicht sitzen. er hätte hingehen sollen. er hatte ja gemerkt, dass der mann völlig hinüber war, aber er war lieber mit seinen leuten zusammengesessen und hatte sich von ihnen honig ums maul schmieren lassen. er sah noch immer die zusammengesunkene gestalt des mannes vor sich. zum ersten mal seit langem kamen ihm die tränen.

er ging einige schritte den strand hinunter, und dann so weit, bis das kühle grau seines bmw ausser sichtweite geriet. er war völlig ratlos. er hatte noch nie so viel zeit gehabt. den ganzen tag lang. freizeit, wie einer, der völlig nutzlos war. er hatte keine eile, von hier wegzukommen. es war ihm egal, was in seinem real life gerade passierte, das er hinter sich gelassen hatte. vielleicht nur für einen tag. den längsten tag seines lebens.

Dienstag, 18. Mai 2010

rebell

warum zitierst du eigentlich so oft gedichte? ich meine, was bringt es dir, hier in dieser drecksstadt von den alten romantikern wieder und wieder anzufangen, so als wäre hier noch alles..
in ordnung?
so ungefähr, ja. in ordnung, könnte man so sagen. hast du keine gefühle?
was soll das wieder heissen, hast du keine gefühle? ich hab genug gefühle, darum liebe ich diese gedichte ja so.
ich denke, nur ein gefühlloser mensch kann es ertragen, solche gedichte zu lesen.
was im prinzip schon mal ein widerspruch an sich ist.
hast du..ich meine..hast du kein herz? das dir gerade bricht? wie kannst du es ertragen, von mondlicht und sternen zu faseln, von wäldern und menschen, die auf diese obszöne art und weise so ehrenhaft sind, dass ich kotzen könnte, wie packst du das? schau dich doch mal um, mann, und sag mir, ob es nicht absolut lächerlich ist, hier noch an solche dinge zu glauben. und das machst du auch, oder? du glaubst daran. stimmt's? du tust das.
und hier ist auch schon die lösung des widerspruchs. ich glaube dran, da hast du recht. darum bricht mein herz auch nicht, wie du es so schön poetisch ausgedrückt hast. du hingegen...
was, ich?
du glaubst nichts davon. du hoffst nicht, du glaubst nicht, du hast keinen weg, den du trotz dieser verwirrung, die hier überall herrscht, gehst.. unbeirrt gehst, weil du genau weisst, dass es diesen weg gibt, egal zu welcher zeit wir gerade geboren wurden. du bist zwar nicht innerlich tot, sonst wärst du abgestumpft und dein herz würde sich nicht anfühlen, als würde es gerade brechen. aber du bist fast tot. du steckst zwischen hohen mauern fest und kannst dich nicht mehr bewegen. hast du nicht das gefühl, gefangen zu sein?
könnte man so sagen, ja. und immer wieder gegen mauern zu rennen, und mir den kopf blutig schlagen, und was am schlimmsten ist, das alles auch noch ohne sinn. irgendwann dachte ich, ich lasse es sein. die mauern sind nun mal da und es gibt keinen weg raus. man muss sich damit abfinden.
du hast etwas übersehen. etwas wirklich wichtiges, das sogar in den romantischsten gedichten immer wieder vorkommt. man findet sich nicht mit situationen ab, die schlecht sind. es sind alles rebellen, die da drin vorkommen.
ja, rebellen des geistes, vielleicht, ja. aber was bringt es, ein rebell des geistes zu sein?
das wort nimmt gestalt an. zuerst war immer das wort. kennst du sicher, oder. stammt aus der bibel. ganz wichtige worte.

alter, irgendwie kommt mir vor, als würde ich am meer stehen, gerade jetzt, und da wären da nur das meer, und du, und ich, und ich könnte einfach so sagen, ich will mein leben so und nicht anders leben, und all das würde einfach so klappen. lächerlich, oder?
nur dann lächerlich, wenn lächerlich in diesem zusammenhang heisst, dass du wirklich was kapiert hast. ich würde sagen, du hast was gecheckt.
ok, nehmen wir mal an, ich wäre ein rebell des geistes. ich hab dinge im kopf wie du. ehrenhaftigkeit, ewige suche nach gleichgesinnten und liebe zu menschen und zur natur, was bringt es mir letztendlich ein? ausser immer wieder enttäuscht zu werden?
mh..die enttäuschungen kann ich dir garantieren. die kommen auf dich zu wie das amen im gebet. du erträgst sie und hältst den kopf hoch, du trägst es mit würde und du fängst immer wieder bei null an, egal, was da noch passieren wird. irgendetwas undefinierbares gibt dir kraft, das alles zu packen.
und irgendwann lese ich deine gedichte, ohne dran zugrundezugehen, was?
irgendwann liest du meine gedichte, ja. und irgendwann schreibst du deine eigenen.

ich und gedichte, oh mann. am liebsten würde ich jetzt die mauern volltaggen, ich würd denen gern sagen, was ich von ihnen halte, den säcken da oben. und ich würd worte wählen, die sie betroffen machen, verstehst du? die ihnen ..
das herz brechen?

ja.
verdammt...ja!

Montag, 10. Mai 2010

Why I do not see here the ships...

Why I do not see here the ships
With sails from the Southern seas?
Why there is no wind and I cannot hear the waves?
All I want is to leave and be with you forever…
My house is like a stone tomb
I feel daft and blind
And I can only see that winter night,
This fear of black streets where you go away…

R. Lutsenko

Dienstag, 4. Mai 2010



image via: http://weheartit.com/entry/1824438

a finger to the lips




the lips of truth
are pressed tight

a finger to the lips
tells us
the time has come

for silence

no one will answer
the question
what is truth

the one who knew
the one who was the truth
is gone

~ Tadeusz Różewicz
translated from Polish by Joanna Trzeciak

image via: http://weheartit.com/entry/1774840