Sonntag, 26. November 2017

sommer II - hundstage


I


im flirrenden licht der sonne bildeten hügelketten verschwommene umrisse von schwarz, das sich über gelb und sienna von feldern und sandkuhlen erhob. die landschaft wirkte wie ausgestorben, menschenleer. das schwirren, surren, krabbeln und flattern von insekten bildete eine geräuschkulisse, die viel zu laut, wie ein greller klangteppich, über der scheinbar unbelebten landschaft lag.
ein aussergewöhnlicher tag, obwohl er sich dem anschein nach in nichts von den übrigen tagen unterschied
ein blutiger, schreiender tag
über dem der schatten der sonne lag
alles war im begriff, sich aufzulösen. sich als illusorisch herauszustellen.

II


in den hundstagen lastete die hitze wie eine decke über den tälern,
kein windhauch bewegte die luft, die gerüche waren mannigfaltig,
süss und holzig über den hügeln in der ferne, würzig über den wiesen,
stechend und scharf am strassenrand, wo unzählige tiere zu tode gekommen waren.
am feldrain lagen kröten und frösche, ab und zu auch ein vogel oder eine überfahrene katze.
hier stank der sommer nach tod und verwesung, nach dunkelheit
er nahm die form eines bösartigen tieres an,
dessen atem nach verwesendem fleisch und vergorenem blut stank

III


das tier lag träge am strassenrand und kaute an fleischfetzen, haut und sehnen, bis nur noch blanke knochen blieben, die es mit seiner feurigen zunge bleich leckte.
grünschillernde fliegenschwärme begleiteten das tier, glitten wellenförmig auf seinem heissen atem dahin, taumelten auf bunten verwesungsfarben, lagen hilflos auf dem rücken und zappelten in blutlachen

drifteten durch blutschwere luft
-rot und braun auf blauem grund-

IV


in der ferne zogen vogelschwärme dahin.
vögel, über deren flügel wellenförmig neue strukturen glitten, flogen, tauchten
waren verschwunden
schemenhafte wellentaucher

schattenhaft. verwirrend. schmerzlich.


Donnerstag, 31. August 2017

Edgar Lee Masters - The Hill


Where are Elmer, Herman, Bert, Tom and Charley,
The weak of will, the strong of arm, the clown, the boozer, the fighter?
All, all are sleeping on the hill.
One passed in a fever,
One was burned in a mine,
One was killed in a brawl,
One died in a jail,
One fell from a bridge toiling for children and wife—
All, all are sleeping, sleeping, sleeping on the hill.

Where are Ella, Kate, Mag, Lizzie and Edith,
The tender heart, the simple soul, the loud, the proud, the happy one?—
All, all are sleeping on the hill.
One died in shameful child-birth,
One of a thwarted love,
One at the hands of a brute in a brothel,
One of a broken pride, in the search for heart’s desire;
One after life in far-away London and Paris
Was brought to her little space by Ella and Kate and Mag—
All, all are sleeping, sleeping, sleeping on the hill.

Where are Uncle Isaac and Aunt Emily,
And old Towny Kincaid and Sevigne Houghton,
And Major Walker who had talked
With venerable men of the revolution?—
All, all are sleeping on the hill.
They brought them dead sons from the war,
And daughters whom life had crushed,
And their children fatherless, crying—
All, all are sleeping, sleeping, sleeping on the hill.

Where is Old Fiddler Jones
Who played with life all his ninety years,
Braving the sleet with bared breast,
Drinking, rioting, thinking neither of wife nor kin,
Nor gold, nor love, nor heaven?
Lo! he babbles of the fish-frys of long ago,
Of the horse-races of long ago at Clary’s Grove,
Of what Abe Lincoln said
One time at Springfield.


https://en.wikipedia.org/wiki/Spoon_River_Anthology


Sonntag, 20. August 2017

das stille liebespaar


er liest ihr aus einem buch vor.

sie ist so auf ihn konzentriert, dass sie die umgebung nicht beachtet. er ist ein schöner mann, vielleicht nicht schön für den geschmack der masse, dafür ist er zu dünn. sein gesicht ist sehr schmal, seine wangen sind leicht eingefallen, doch sein mund ist voll und sieht sinnlich aus.
er liest ihr konzentriert vor und sie sieht ihm ins gesicht. sie wirkt nicht so, als könnte sie sich auf das konzentrieren, was er liest, obwohl sie sich mühe gibt. er lenkt sie zu sehr ab. sie studiert seine züge wie eine landkarte, die man liebevoll und aufmerksam studiert, wenn man eine lange reise plant.
ein unerforschtes land.

wenn er so liest, sieht er jesus ähnlich, der gerade seinen jüngern ein gebet vorträgt - so sehr ist er auf den text konzentriert. er will sie damit bezaubern, aber das hat er schon längst getan, durch seine gegenwart allein. ein wenig erinnert er auch an johnny depp oder che guevara, ein abenteurer, einer, der nie den leichtesten weg geht.

neben den beiden liegt sein abgegriffener gitarrenkoffer auf der bank. das mädchen kann nur ein paar akkorde, aber sie liebt es, seine gitarre in ihren händen zu haben, und ohne es wirklich zu können, darauf zu spielen und dazu zu singen. die stimme des mädchens klingt wie regen. sie hat nie singen gelernt, aber ihre stimme ist fein und ausdrucksvoll und vibriert wie regen, der zur erde fällt.
dann sieht er sie ähnlich an wie sie ihn gerade eben, konzentriert, wie eine landkarte. 
orte, die alle poetische namen haben. strassen, die nie in die irre führen. auf seltsame art schon jetzt vertraut, aber nicht daran gewöhnt, nie daran gewöhnt, und so wird es immer sein. 
ein regenbogen mit einem topf gold am anderen ende.


Dienstag, 1. August 2017

Sonntag, 23. Juli 2017

impressionen von der künstlichen stadt auf den hügeln


diese landschaft dort oben am hügel ist eine durch und durch künstliche. ein komplex von alten und neuen gebäuden, funkelndem glas und stahl, neben alten behäbigen steinernen bauten, die wie riesengrosse villen aussehen. der komplex bildet eine stadt in der stadt mit einer ganz eigenen ausstrahlung. cool mit all den monitoren, die verschiedene blickwinkel der stadt wiedergeben, ein summen und brummen ab und zu wie von computern
computerkunst und kunst in 3 D, virtuelle realität und kunst zum angreifen, bieten sich dem besucher der stadt beinahe beiläufig dar
ein langer weg wie eine brücke zwischen gebäuden mit fassaden wie aus opakem glas, kühl, die farbe eine winterliche art von eisgrün...unwirklich...die fassade, dahinter ein himmel von strahlendem engelsblau, weiß bewölkt

zwischen eisgrün und engelsblau führt die brücke in eine parklandschaft mit darin verstreuten würfelähnlichen gebilden in bunten farben
violett hauptsächlich aber auch grün und pink
daneben täfelchen wie in einem botanischen garten
die aussenhaut der würfel leuchtet
computerbilder vom menschlichen körper
knorpelmasse und ein innenohr
knochen muskelfasern
der boden ist gefroren und morgendunkel, der himmel strahlt, doch der boden atmet noch die kälte der nacht aus
man träumt sich kameraaugen, um das fotografische tagebuch zuhause mit bildern füllen zu können doch man ist gezwungen, vergängliches zu akzeptieren
ein, zwei bilder brennen sich ins gedächtnis, wo sie jahrelang gespeichert bleiben, um plötzlich, unerwartet, wieder emporzusteigen
ein, zwei bilder gekoppelt mit starken gefühlen, die jahre später dem erinnernden scharfe tränen in die augen treiben werden

die brücke zwischen eisgrün und engelsblau

wie fröhlich man zwischen alter und neuer kunst zu wandeln vermag...switch on...switch off...heiter schimmernde insekten-facettenaugen nehmen schönheit auf, knipsen bildchen für den temporären erinnerungs-ordner, der stetig geleert wird
was bleibt von einem spaziergang übrig außer diesen schnell gezeichneten wort-bildern
nicht viel außer einem unbestimmten gefühl der fröhlichkeit und ein, zwei bildern von engelhaftem schönheitsschmerz
impressionen von der künstlichen stadt auf den hügeln
ein künstlicher see fehlte noch mit monitoren am ufer und alten bäumen, des meisters echte kunst...
das alte trifft das neue, vermag es zu umarmen, anstatt es von sich zu stossen
die harmonie erstaunt, macht betroffen...
ein weiter blick hinunter in die welt, die noch im morgenschatten liegt, offenbart vertrautes

inmitten hoher bäume schlummert weit unten der stille hain
der alte friedhof, auf dem man wandelte, als man dem ruf der müden seele folgte, die träumen wollte
anders träumen als auf den hügeln der künstlichen stadt
endgültig zielgerichtet
die wahrheit liegt dort unten
im schattigen garten


tanzen möcht ich nicht mehr
sprach das einsame mädchen auf den hügeln
und wandte seinen schritt
langsam
endgültig
dem schattigen tale zu
von eisgrün und engelsblau träum ich nicht mehr,
mir ist nach tiefem ernstem schwarz
lächelte der totenkopffalter
einst schillerndes schwirrendes insekt...
seine flügel breitete er aus
in samtigstem schwarz
und langsam wurde er fortgetragen
es war einfach, nur hinabzuschweben
in das schattige tal
und er sank hinab

Donnerstag, 15. Juni 2017

der einsiedlerkrebs


"es gäbe viel zu sagen", schrieb er in sein notizbuch, hielt dann innne und runzelte die stirn. "es gäbe viel zu sagen und doch werde ich es nicht tun, weil ich...ja weil ich schon seit langem nichts mehr zu sagen weiss. so ist es doch. ich weiss seit monaten nichts mehr zu sagen. in mir ist eine leere, die ich so noch nie kannte. es ist so, als wäre ich von diesem planeten ausradiert worden. weggewischt von der hand eines spielenden kindes, das nicht versteht, was es gerade anrichtet. so fühlt es sich an. so sinnlos, das ganze", murmelte er und zündete sich einen zigarillo an, blickte über's meer hinaus und rauchte vor sich hin.

"ich meine, es ist vor allem sinnlos, wenn man darauf einsteigt. sinnlos, wenn man diese ganzen lügengeschichten, die plötzlich wie visionen in deinem kopf auftauchen, dann für bare münze nimmt und darauf eingeht, eventuell sogar etwas davon umsetzt, in die reale welt mitnimmt...was würde man alles verlieren? die geschichten laufen nämlich immer auf eines hinaus", erklärte er einem vorüberwandernden einsiedlerkrebs, der eine prächtige villa auf seinem rücken einherschleppte, "die geschichten laufen immer auf einen gigantischen verlust hinaus. alle diese geschichten. es sind nicht die geschichten, die wir uns immer erzählen, im freundeskreis, wenn wir wieder einmal alle zusammen sind. es sind böse geschichten. und sie greifen nach unserer welt und reissen sie in einen sog aus ...gar nichts."

"deshalb bin ich so müde geworden", erklärte er dem eifrig vor sich hinstapfenden tierchen. "ich habe zugehört, stell dir vor, ich habe es wieder und wieder getan und meine vorsätze missachtet und nun sieh mich an. älter geworden und gar nichts dazugelernt. das hier riskiert, für nichts und wieder nichts. ich finde keine worte mehr." er hielt mit seinen ausführungen inne, stutzte und begann dann zu lachen, als ihm klar wurde, dass er die ganze zeit geredet hatte und dass es nicht im geringsten schwer gewesen war, diesem winzling von krebs etwas zu erzählen, das der krebs zwar nie im leben verstehen würde, das aber für ihn selbst der schlüssel zu einem käfig war, in dem er die letzten monate gehockt hatte, mit angezogenen beinen und armen, wie ein armer sünder am pranger kurz vor seiner hinrichtung.


es war ein schlüssel von maroder pracht, stellte er fest. er war nicht glitzernd und neu, sondern alt und korrodiert. ein sonderbares wappen befand sich auf dem griff, mit gekreuzten knochen darüber. ein schlüssel, wie er älter und poröser nicht sein konnte. er war schon hunderttausendmal und mehr verwendet worden, das konnte man gut sehen. abgegriffen sah er aus. was ihn zutiefst freute. er war anscheinend einer in einer lange reihe von leuten, die zu einer gewissen zeit ihres lebens nach dem schlüssel griffen und mit ihm die tür des engen käfigs aufschlossen, um nach draussen zu treten. dass da draussen sand und meer sein würden, war sowieso klar, das müsste man gar nicht mehr erwähnen. es war immer sand und meer und wenn man glück hatte, ein winziger einsiedlerkrebs, der gerade vor einem durch den sand stapfte und eine winzige schleifspur im nassen sand hinterliess.
er legte das notizbuch beiseite und schloss die augen. der wind war anders als vorhin. er roch nach abenteuern und er lächelte...

Donnerstag, 27. April 2017

Freitag, 14. April 2017






All she wanted
was the smell of the sea, of disappearance.



 Louise Glück



Mittwoch, 25. Januar 2017


We need a renaissance of wonder. We need to renew, in our hearts and in our souls, the deathless dream, the eternal poetry, the perennial sense that life is miracle and magic.

 E. Merrill Root