Donnerstag, 15. Juni 2017
der einsiedlerkrebs
"es gäbe viel zu sagen", schrieb er in sein notizbuch, hielt dann innne und runzelte die stirn. "es gäbe viel zu sagen und doch werde ich es nicht tun, weil ich...ja weil ich schon seit langem nichts mehr zu sagen weiss. so ist es doch. ich weiss seit monaten nichts mehr zu sagen. in mir ist eine leere, die ich so noch nie kannte. es ist so, als wäre ich von diesem planeten ausradiert worden. weggewischt von der hand eines spielenden kindes, das nicht versteht, was es gerade anrichtet. so fühlt es sich an. so sinnlos, das ganze", murmelte er und zündete sich einen zigarillo an, blickte über's meer hinaus und rauchte vor sich hin.
"ich meine, es ist vor allem sinnlos, wenn man darauf einsteigt. sinnlos, wenn man diese ganzen lügengeschichten, die plötzlich wie visionen in deinem kopf auftauchen, dann für bare münze nimmt und darauf eingeht, eventuell sogar etwas davon umsetzt, in die reale welt mitnimmt...was würde man alles verlieren? die geschichten laufen nämlich immer auf eines hinaus", erklärte er einem vorüberwandernden einsiedlerkrebs, der eine prächtige villa auf seinem rücken einherschleppte, "die geschichten laufen immer auf einen gigantischen verlust hinaus. alle diese geschichten. es sind nicht die geschichten, die wir uns immer erzählen, im freundeskreis, wenn wir wieder einmal alle zusammen sind. es sind böse geschichten. und sie greifen nach unserer welt und reissen sie in einen sog aus ...gar nichts."
"deshalb bin ich so müde geworden", erklärte er dem eifrig vor sich hinstapfenden tierchen. "ich habe zugehört, stell dir vor, ich habe es wieder und wieder getan und meine vorsätze missachtet und nun sieh mich an. älter geworden und gar nichts dazugelernt. das hier riskiert, für nichts und wieder nichts. ich finde keine worte mehr." er hielt mit seinen ausführungen inne, stutzte und begann dann zu lachen, als ihm klar wurde, dass er die ganze zeit geredet hatte und dass es nicht im geringsten schwer gewesen war, diesem winzling von krebs etwas zu erzählen, das der krebs zwar nie im leben verstehen würde, das aber für ihn selbst der schlüssel zu einem käfig war, in dem er die letzten monate gehockt hatte, mit angezogenen beinen und armen, wie ein armer sünder am pranger kurz vor seiner hinrichtung.
es war ein schlüssel von maroder pracht, stellte er fest. er war nicht glitzernd und neu, sondern alt und korrodiert. ein sonderbares wappen befand sich auf dem griff, mit gekreuzten knochen darüber. ein schlüssel, wie er älter und poröser nicht sein konnte. er war schon hunderttausendmal und mehr verwendet worden, das konnte man gut sehen. abgegriffen sah er aus. was ihn zutiefst freute. er war anscheinend einer in einer lange reihe von leuten, die zu einer gewissen zeit ihres lebens nach dem schlüssel griffen und mit ihm die tür des engen käfigs aufschlossen, um nach draussen zu treten. dass da draussen sand und meer sein würden, war sowieso klar, das müsste man gar nicht mehr erwähnen. es war immer sand und meer und wenn man glück hatte, ein winziger einsiedlerkrebs, der gerade vor einem durch den sand stapfte und eine winzige schleifspur im nassen sand hinterliess.
er legte das notizbuch beiseite und schloss die augen. der wind war anders als vorhin. er roch nach abenteuern und er lächelte...
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