Sonntag, 8. August 2010

herbstwind

I

der wind macht heute geräusche wie ein unheimliches grosses graues tier. der himmel bezieht sich rasch, silbrig, ein wechselspiel zwischen blau und eisgrau, dazwischen immer das glitzern. silbern. von unbeschreiblicher fast wahnwitziger schönheit.
das graue tier heult den rest des sommers an.
es hebt die tatzen und kratzt die späte sommerbläue vom himmel.



II

eine in schwarz gekleidete gestalt mit tief in die stirn gezogener kapuze sprüht gerade etwas auf eine hausmauer. vor ihr im gras liegen spraydosen und eine vielzahl kleinerer gegenstände.
ein bild...ist es ein bild? bei genauerem betrachten fällt auf, dass es irgendetwas anderes ist, aber es ist auch ein bild. ein code, eine versteckte nachricht, es ist schwer zu sagen.
die person in schwarz hantiert mit spraydosen in allen erdenklichen grössen sowie mit feinsten schablonen. zierlich und verwirrend nimmt etwas gestalt an, wie eine mathematische formel, die gerade erst erdacht, zum ersten mal geschrieben wird. einiges wird übermalt, anderes überschrieben, schicht um schicht wird das mauerwerk bedeckt mit etwas, das einer schillernden membran gleicht, dann materieller wird, wie um sich zu setzen, langsam mit der wand zu verschmelzen und die wand auf unbegreifliche weise zu zersetzen.
alles geschieht in völliger stille. ab und zu leises klackern, wenn die spraydosen geschüttelt werden, wie murmeln, die aneinander stossen. wenn das bild fertig ist, werden bestimmte dinge für immer anders sein. einige werden die botschaft lesen können, doch es werden wie immer wenige sein. sie werden ausreichen. die anderen existieren weiter, ohne dem bild beachtung zu schenken. vielleicht sehen sie auch nur das graue mauerwerk einer hausmauer.



III

ein kind lehnt sich lachend aus dem fenster. seine haare werden vom herbstwind zerzaust. es sieht den fremden mann unten an der hausmauer stehen. „willst du zu uns?“
eine seltsame freude liegt auf den zügen des kindes, das plötzlich greisenhaft alt erscheint, so als hätte es bereits in jungen jahren alles gesehen, was es zu sehen gilt. der mann betrachtet das greisenhafte kind, lächelt zu ihm herauf und winkt einen freundlichen gruß. dann zwinkert er ihm zu, als gälte es einem geheimen verbündeten ein zeichen zu senden. das kind zwinkert zurück und lacht. der mann stimmt in das fröhliche kinder-greisen-lachen ein.
eine windböe trägt die beiden stimmen über die hügel davon.



IV

„nimm mich mit“, sagt das kind
das geheime mal steht auf seiner stirn wie ein klarer stern
„bald“, sagt der mann. „bewahre du inzwischen das sternklare licht“