...die mir sofort lang und breit erzählte, dass sie eigentlich tot war. auch
über ihre todesart redete sie gern und ausführlich. ich dachte bei mir, mein
gott, es kann nicht angehen, dass jetzt schon die toten aus ihren löchern
krabbeln und auf der welt herumgehen bzw. wie es in diesem unserem fall war,
herumreisen. wir sassen zusammen in einem zugabteil, das äusserst schlecht
durchlüftet war und ihr geruch - ich möchte nicht allzusehr ins detail
gehen, aber sagen wir mal so: sie roch abgelegen - ihr geruch erfüllte bald
das abteil bis in die letzte nische. als ich das fenster öffnen wollte,
musste ich bemerken, dass es derartig von rost bewachsen, ja befallen war,
dass ich keine chanche hatte, das vermaledeite ding auch nur sagen wir mal
einen inch zu bewegen.
ich rüttelte an dem nutzlosen fenstergriff, bis mein
secondhandmantel von dior - sie wissen, werte freundin, wie sehr ich
secondhand-haute couture mag - bis besagter altrosafarbener mantel (der mit
dem schwarzen spitzenkragen, mein lieblingsstück) über und über mit rost
befleckt war, der sich in grossen flocken von der korrodierten metallschiene
löste und schon überall im abteil verteilt war. die kleine tote person, die
es sich mir gegenüber bequem gemacht hatte, lachte inzwischen auf eindeutig
hämische manier, ein unerzogenes kind, aber bildhübsch, also verzieh ich ihr
die kleinen unartigkeiten und anstatt sie zu tadeln suchte ich in meiner
handtasche lieber nach zuckerwerk, das ich für die lange reise in einem
kleinen bonbon-laden im stadtzentrum von paris erstanden hatte.
die kleine person wurde so zutraulich, dass sie sogar ihren sitzplatz wechselte und
sich neben mir niederliess und nach einiger zeit spürte ich ihre kleine
hand, die nach meiner griff. ihr geruch störte mich nicht mehr, ich war
davon überzeugt, dass auch ich inzwischen schon genauso roch wie sie....
[lila von rittersbach: reisebriefe]