"was bedeutet das meer für dich?", hatte sie gefragt und er hatte sie  perplex eine zeitlang nur angesehen, so spontan war die frage gekommen,  mitten beim dessert. sie waren essen gewesen, es war ein gelungener  abend gewesen, mit kerzenlicht und allem, was dazugehörte. als das  dessert vor ihnen stand, hatte er zugelangt wie ein firmling, obwohl er  überhaupt keinen hunger mehr verspürte, sie aber hatte eine zeitlang aus  dem fenster gesehen und vor sich hingesonnen. gar nicht ihre art. bei  süssigkeiten konnte gerade sie sich nicht lang zurückhalten, aber sie  war dagesessen, hatte ihr spiegelbild in der scheibe betrachtet, und sie  hatte überlegt. lange überlegt.
sie hatte ihn danach merkwürdig  angesehen. ein anflug von melancholie lag auf ihrer stirn, und sie hatte  traurige augen, die im licht der kerzen sehr dunkel waren. man konnte  das bernstein in ihren augen gar nicht mehr sehen, so dunkel waren sie  plötzlich geworden. er verstand die frage wohl, aber nicht den grund für  ihre plötzlich auftretende traurigkeit. der abend war vergnügt gewesen,  sie hatten viel gelacht und bestens gegessen, als warum sollte sich  ganz plötzlich ihre stimmung ändern? mit einem schlag. als würde eine  kalte, traurige welle über sie hereinbrechen, sie überschütten mit  grünem kristall.
wie kam er auf diesen ausdruck? grüner kristall.
kalter  grüner kristall mit winzigen luftbläscheneinschlüssen, wie glas,  dickes, schweres grünes glas, etwas, das den blick bannt. etwas  faszinierend schönes. altes. uraltes.
"wer kennt den anderen schon  wirklich", hatte er gedacht und eine leichte gänsehaut hatte sich auf  seinen unterarmen gebildet. man lebt mit einem menschen jahrelang  zusammen, aber dass man ihn dann kennen würde, kann man nicht wirklich  behaupten.
er versuchte, auf ihre frage, die neue stimmung  einzugehen, er dachte an den ozean und dass er ihm viel bedeuten würde,  ja, aber nicht so viel wie ihr, das konnte er schon jetzt sehen. dass  sie mit seiner antwort nicht wirklich zufrieden sein würde.
als  er von seiner kindheit erzählte, dass er mit senen grosseltern immer am  meer urlaub gemacht hatte, als die familie noch grösser war - er hatte  tatsächlich gesagt, als wir noch alle beisammen waren, neigte sie den  kopf, so leicht, beinahe unsichtbar, als würde eine königin einem von  ihren untertanen zuhören und ihn auch verstehen, obwohl er ihr  hemmungslos unterlegen war, aber sie nahm seine worte entgegen.  lächelte. das traurigste lächeln der welt, dachte er, als wäre jemand  gestorben und man würde sich an ihn erinnern, bei gesprächen und einem  glas wein, als gelte es, einem geliebten verstorbenen seine aufwartung  zu machen, ihn noch einmal zu fühlen, seinen geist, seine aura, bevor  man ihn wieder gehen liess, bis zum nächsten mal.
die gänsehaut hatte sich inzwischen schon auf seinem rücken breitgemacht.
die  leute im lokal hatten begonnen, sie anzustarren. auf eine merkwürdige  art und weise. seine frau war sehr attraktiv und leute starrten immer,  aber dieses mal...es war berührend und beängstigend zugleich. sie  starrten, als würden sie etwas sehen, was sie nicht ertragen konnten.  fassungslos. die frau am nachbartisch hielt ihr weinglas in der hand, in  der bewegung zum mund festgefroren. das glas kippte leicht und einige  tropfen rotwein landeten auf der weissen tischdecke, was sie jedoch  nicht bemerkte. normalerweise amüsierte er sich prächtig, wenn anderen  frauen seine frau anstarrten und irgendwie genau studierten, wie es eben  nur frauen untereinander machten, aber diesmal war ihm nicht zum lachen  zumute. eher im gegenteil. mit einem mal verstand er, dass er sie nie  wirklich für sich gehabt hatte. dass sie frei war, niemandes frau, ohne  bindung, ohne bezug zu seiner welt, er verstand, dass sie fremd war, wie  ein alien, nicht unter ihresgleichen. etwas unsagbar kaltes ging von  ihr aus, nicht die kälte eines leichnams, sondern kälter. von natur aus  eiskalt. kalt wie ein fisch.
sie redete mit ihm und er verstand kein  wort. sie war zu wundervoll, als sie so dasass, ihr das blonde weiche  haar wie ein vorhang übers gesicht fiel, als sie sich vorbeugte, wie sie  lächelte und wie ihre augen dabei traurig blieben. er glaubte nicht  daran. wollte nicht daran glauben. er war kein kleines kind mehr. er  konnte den gedanken nicht mal richtig zu ende denken, weil er sich vor  sich selbst geschämt hätte, dass die frau, die er liebte, in dieser  nacht zu einem wesen mutiert war, das es nur in mythen und legenden gab.  wenn er ehrlich war, hatte es diese phasen schon einige male gegeben,  nur nie so offen, nie so traurig und eindeutig. es war eine dieser  nächte, in der sie stiller wurde, mehr für sich blieb, in der sie endlos  draussen im garten war oder im mondlicht vor dem haus sass, träumend.  verloren. ja, sie war völlig verloren. und sie war so schön, dass sie  sie in stücke gerissen hätten, nur um sie zu besitzen. einen teil von  ihr, und ihn am herzen zu tragen, als glücksbringer, als liebespfand,  als kleine, traurige reliquie. einer meerjungfrau. einer magischen  kreatur.
er wusste, dass ihre augen wie grüner kristall  leuchteten. er hatte es schon gesehen, aber er wollte es nicht sehen,  nicht verstehen. nie und nimmer. dass sie teil einer alten welt war und  er nicht. dass sie heimweh verspürte, die er, obwohl er sie so  schrecklich liebte, nie fortnehmen konnte, egal, was er tat. es würde  immer zu wenig sein. er betrachtete seine traurige frau lange, griff  über den tisch und nahm ihre kalte hand in seine. sie sah auf und da war  es wieder, das funkeln, das grün, wie die wilde grüne see.
"was mir das meer bedeutet", sagte er schliesslich, und sie sah ihn stumm an. "es ist mein leben."
sie  drückte seine hand, setzte zum reden an und brachte kein wort heraus.  so sassen sie da, im zentrum der aufmerksamkeit und waren trotzdem wie  auf einer insel, zu zweit.
er wusste nur, dass er sie liebte. es war alles, was er ihr geben konnte.
vielleicht war es ja doch genug.
 
