Mittwoch, 22. Dezember 2010
winterfest
die ersten schneeflocken waren gefallen, zwar war nichts liegengeblieben, aber der richtige schnee würde bald kommen, das war sicher. und dann die winterstürme, die die wellen zu bergen auftürmen würden, zu eisgrauen, kalten bergen. er liebte das meer, auch wenn es wild und bedrohlich aussah und er mochte auch den wintersturm und den graupeligen eisregen, der die haut wie mit tausend nadeln sticht. heute war ein klarer tag. man konnte in die weite sehen. endlos, wie in einen blauen spiegel, der am rand jedoch eine leichte aschgraue färbung angenommen hatte. funkelndes blau, an den rändern grau. lichtgrau, so typisch für diese gegend, ein phänomen für sich. auch darum liebte er diese gegend, wegen dem licht...wegen den lichtern.
sein herz war heute weit wie der horizont. er freute sich auf das, was noch kommen würde, es würde viel sein, fast zu viel für einen wie ihn...der das alles nie im leben erwartet hatte. natürlich hatte er gehofft. dass die kleinen träume, die für ihn schon zuviel waren, wirklich werden würden, aber er war eigentlich immer davon überzeugt gewesen, dass man nicht zu viel träumen darf. damit man nicht aufwacht und feststellt, dass man traurig geworden ist. die einstellung seiner grosseltern, die er für sich übernommen hatte. und dennoch drängten manche träume empor, als würden sie ein eigenleben annehmen.
wie ebbe und flut sind die träume, dachte er. es gibt zeiten, da drängen sie empor, als würden wellen an einen strand rollen. dann gibt es die kargen zeiten, wo sie sich zurückziehen und den träumenden fröstelnd und traurig zurücklassen. so war es einfach. nichts konnte man daran ändern. vielleicht waren die zeiten der ebbe nötig, so wie es die zeiten der flut waren. zur klärung. reduktion als klärung der gedanken und wünsche. was dann noch übrigbleibt, ist tatsächlich wahr. beide zeiten haben sinn, dachte er und hielt instinktiv ausschau nach seinem alten freund, dem einsiedlerkrebs, dem er solche dinge zu erklären gewohnt war. der junge liess sich heute aber nicht blicken. wahrscheinlich bereitete er sich ebenfalls auf den winter vor. er sollte es ihm gleich tun. nun ist wohl flut, dachte er, die träume kommen zurück, einige davon. andere sind wohl für immer verschwunden. und er wusste nicht mal mehr, welche es waren. er fühlte sich nur erleichtert. so, als wäre viel unnützer ballast von ihm genommen worden.
er warf einen kurzen blick zurück zum haus, das einladend aussah. die fenster blinkten in der wintersonne, als würde sie zwinkern. zeit für einen heissen kakao.
er verstaute sein kleines blaues boot unter der plane, überprüfte noch einmal, ob sie gut festgezurrt war und ging dann zurück zum haus.
in der küche war es warm und der kakao dampfte vor ihm. er sah lächelnd aus dem fenster und war zufrieden. der winter konnte kommen.
Sonntag, 14. November 2010
nehmen sie, was sie brauchen und geben sie, was sie können
eigentlich wollte er gefunden werden.
er glaubte fest daran, dass es sowas gab. dass man gefunden wurde, wenn man einen offenen geist hatte, und sinnesorgane, die noch nicht von stress und dauerlärm beeinträchtigt waren.
nun stand er in diesem uralten laden, ganz allein. der besitzer des ladens war anscheinend kurz hinausgegangen, um frische luft zu schnappen oder selbst besorgungen zu erledigen. es störte ihn nicht. instinktiv wusste er, dass er hier willkommen war. ganz hinten im laden stand ein schreibtisch, der mit büchern und papieren übersät war. eine altmodische schreibtischlampe mit grünem schirm warf einen kegel aus weichem licht auf die schreibtischplatte. ein handbeschriebener zettel lag mitten auf dem tisch und weckte sein interesse. es war eine alte schrift, wahrscheinlich die handschrift eines alten menschen, er dachte an einen weisshaarigen mann, der inmitten von büchern seinen lebensabend verbrachte und musste lächeln. nehmen sie, was sie brauchen und geben sie, was sie können, stand auf dem zettel.
nehmen sie, was sie brauchen. er schüttelte den kopf über so viel vertrauensseligkeit. die bücher waren wertvoller als alles, was er gerade eben in den anderen schaufenstern gesehen hatte. viel wertvoller. sie waren alt, manche von ihnen besassen prachtvolle einbände und waren wohl auch mit illustrationen versehen, vielleicht sogar mit echten lithographien. man könnte sich hier herrlich bereichern.
könnte man das wirklich? seltsamer gedanke. vielleicht war es kein zufall, dass der laden leer war. es könnte ja sein, dachte er und fühlte sich wie ein kind, das noch an wundersame begebenheiten glaubt, ja, es könnte sein, dass das alles kein zufall ist. die meisten finden den laden wahrscheinlich nicht.
er wollte alles besitzen, was er hier sah. alles war nach seinem geschmack, und der impuls, einen stapel bücher auszusuchen, damit den laden zu verlassen...fluchtartig...war plötzlich sehr stark. ein paar münzen zurücklassen, und wieder mal viel geld gespart. es wäre einfach.
doch es ging ja eigentlich um den wert. die wertschätzung, die man diesen gütern erwies, die eigentlich so gut wie unbezahlbar waren. "was sind dir diese alten bücher wert?" dachte er. er wusste, dass es sehr viel war. er betrachtete die regale, die alten prachtvollen bände, und schüttelte den kopf. es ging um ein ganz bestimmtes buch. er hatte vor, es zu finden. das buch, das er seit seiner jugend gesucht hatte, er vermisste es. es war verloren gegangen, er konnte sich nicht mehr erinnern, wer es damals genommen und nie zurückgebracht hatte.
er suchte lange. es war spät am abend, als er es endlich ganz oben in einem regal entdeckte. er nahm es vorsichtig in seine hände, viel zärtlichkeit lag in dieser geste, er hatte nicht gewusst, dass er dazu noch fähig war. das eselsohr, mit dem er damals seine lieblingsgeschichte markiert hatte, der winzige fleck auf dem einband..er kannte das buch. sein name, in kinderschrift auf der ersten seite, verblasst zwar, aber noch gut lesbar. seine hände zitterten, als er nach dem portemonnaie in seiner manteltasche tastete und einige geldscheine heraussuchte, viel zuviel für ein kleines altes kinderbuch. mehr, als er in dieser stadt ausgeben wollte. und trotzdem zu wenig, denn es war sein buch. er legte das geld neben den handbeschriebenen zettel, trat auf die menschenleere dunkle strasse hinaus und machte sich auf den weg zurück ins hotel, das kleine buch fest an sich gedrückt.
nehmen sie, was sie brauchen und geben sie, was sie können
der wert der dinge ist manchmal unschätzbar gross, mit gold oder geld nicht aufzuwiegen. ein teil der unserer wertschätzung der dinge ist also die liebe. es muss die liebe sein. ohne liebe sind alle dinge wertlos.
für peggy
Sonntag, 7. November 2010
spätherbst
meistens betrachtet er die welt durch einen filter. er legte ganz einfach einen schleier über die welt und filterte die grellen farben aus. was übrig blieb, war meistens nur grau. und er fühlte sich wohl in seiner grauen welt. sie war beruhigend und sicher. nichts würde jemals stören. nichts würde ihn berühren, nichts würde ihn traurig machen oder wütend. er fühlte sich immer gleich zufrieden, und die zeit verging wohl so schnell wie bei allen anderen. sie alterten, doch er selbst blieb immer gleich.
eines tages jedoch, es war im späten herbst, war er unterwegs, um noch einen letzten blick auf die graue herbstlandschaft im zwielicht zu werfen. er schlenderte an den gärten entlang, nahm den weg durch die vorstädte, durch das labyrinth von gassen und strassen, und bald wusste er nicht mehr, wo er eigentlich war. in diesem viertel der stadt war er noch nie gewesen. doch es kümmerte ihn auch nicht. die grauen häuser und gärten sahen aus wie die in seinem viertel. jemand stand mitten auf der strasse vor ihm und blockierte den weg. eine kleine, zierliche gestalt. ein kleines mädchen war es wohl, sie trug einen warmen umhang, und hatte eine kapuze auf. er konnte ihr gesicht nicht sehen, doch er dachte, sie wäre wohl sehr jung, maximal 10 jahre alt. sie machte keine anstalten, weiterzugehen oder den weg freizugeben. also schritt er auf sie zu und blieb dann vor ihr stehen.
er lächelte, sagte, "hallo kleine", doch sie antwortete nicht. vieleicht hätte er einfach an ihr vorüber gehen sollen. seine welt hätte sich nicht im geringsten verändert, wäre er einfach weitergegangen und hätte dieses sonderbare kind ignoriert, doch er war auf seltsame weise neugierig geworden und sah sie weiterhin an, wartete.
sie kramte in der tasche ihres umhangs und holte einen grossen apfel heraus, hielt ihn ihm entgegen. verlegen griff er danach, murmelte seinen dank, doch die dankesworte blieben ihm im hals stecken. das was gerade mit ihm passierte, war sein untergang.
der apfel, den er in der hand hielt, leuchtet in klarem kräftigem rot. der graue filter löste sich auf, wurde blasser und durchsichtiger, bis rings um ihn die gärten in herbstlichem spätabendlicht leuchteten. seine hand war die eines alten mannes geworden. die kapuze des kindes war zurückgerutscht, uralte augen sahen ihn an, starrten unverwandt in seine verletzlichen alten augen. das uralte kind lächelte ihm zu, hauchte einen kuss in die luft. er schloss für einen moment die augen. der kuss brannte wie feuer. der schmerz war unbeschreiblich, er brannte in seiner seele, und dennoch wollte er nicht, dass dieser moment jemals aufhörte. ein teil des himmels, dachte er. und er wusste genau, welcher teil des himmels es war. als er die augen wieder öffnete, war das kind verschwunden. was von diesem tag blieb, war eine welt voller farben, jeder tag ein stück bunter, intensiver, die gefühle die er hatte, waren die eines kindes. er spielte, er malte, lachte und weinte.er war nicht mehr nur für sich, er fühlte alles rings um ihn, vor allem die menschen. er fühlte mit ihnen.
er wusste bis zuletzt nicht, ob er wirklich dankbar sein sollte. er wusste es einfach nicht.
Freitag, 15. Oktober 2010
der schlafwandler
unter dem er schon oft gestanden, traumverloren, schlafwandelnd, voller hoffnung
er lauschte zu dem einen fenster empor, das geöffnet war, dahinter die blanke schwarze leere eines mitternächtlichen zimmers
der vorhang wehte heraus, aus dem fenster, im nachtwind, ein flügel, ein engelsflügel aus zartem spitzengewölk, flatterte im nachtwind als nebelphantom
dahinter das zimmer in mitternächtlicher schwärze
und er
voller hoffnung
im schatten verborgen
Sonntag, 10. Oktober 2010
geister
die räume waren gewiss leer, aber das haus selbst weckte die assoziation mit alten möbelstücken, die in dem grauen dämmerlicht, das spärlich durch die fenster drang, ihren verstorbenen besitzern nachträumten. erinnerungen an lang vergangene tage. ein kleiner wintergarten, der früher eine veranda gewesen sein mochte, verlieh dem ansonsten einfachen, einstöckigen haus eine spur altmodischer, urbaner eleganz.
jemand warf noch immer werbematerial in den briefkasten.
bunte prospekte und flugzettel quollen aus dem briefkasten oder lagen auf der erde vor der tür. sonnenschein und regen hatten ihre einstmals leuchtenden, grellen farben zu verwaschenen pastelltönen gebleicht, aber man konnte einige davon noch immer lesen. hochglanz. diese prospekte halten sich lang, sie verfallen langsamer als dünnes zeitungspapier, ihre farben bleichen erst nach langer zeit aus. einrichtungshäuser und supermärkte bewarben ihre produkte in auffallend lauten farben und worten, doch abgesehen von vereinzelten passanten war niemand da, der sie hätte lesen wollen oder können. und so verblassten bilder zu sinnlosen farbklecksen, wandelten sich slogans zu dadaistischen botschaften. eine lebensmittelkette lockte mit lettern in erloschenem signalgelb. darunter prangte das bild eines bräunlichen objekts, das im besten falle noch als unflätig zu bezeichnen wäre und einem hundehäufchen nicht unähnlich war. ein werbeflyer eines kosmetikdiscounters lag quer über dem prospekt. "nur zur äusseren anwendung", teilte die bleiche schrift des flyers mit und erklärte doch so manches.
regen fiel auf das schindelgedeckte dach und auf das grauweisse fell der katze. sie gähnte und streckte sich durch. machte sich auf den rückweg. als sie auf die allee hinauslief, trafen wind und regen sie nun ungeschützt. sie miaute kläglich und lief nun schneller im schutz der bäume davon.
oben auf dem hügel stand ein prächtiges chinesisches restaurant.
warum es sich so hartnäckig hielt, wusste niemand, denn es hatte kaum besucher. die gähnend leeren räume waren spärlich beleuchtet und glichen hallen oder gängen, in denen die weissen lampions im windzug hin und herschwankten. aquarien mit gelangweilten goldfischen und skalaren besetzten ecken und nischen und warfen inseln aus gründämmerlicht in die gespenstige grauweisse umgebung.
wasser rieselte über steine und pflanzen, die an den rändern der aquarien in üppiger vegetation gediehen, wasser sprudelte auch aus aufgesperrten rachen von steinernen löwen und drachen, die gleich wasserspeiern auf den beckenrändern sassen und mit toten glotzaugen in die gänge starrten...
nachtrag: geister war eigentlich als kurzgeschichte gedacht. doch wie es oft beim geschichtenschreiben so ist, spalten sich vom beginn dieser geschichte andere geschichten ab. eine davon findet man hier im trans atlantis express, sie heisst "das verlassene haus". in dieser geschichte wird das sonderbare chinarestaurant besucht, im traum oder einer vision, und man kann dem schläfer oder visionär nur die daumen drücken, denn das, was er dort erlebt, ist nicht leicht zu ertragen. eine andere geschichte, die den besuchern meiner website dark city vielleicht bekannt ist, heisst "der schmetterling und der jadevogel". alle geschichten hatten ihren ursprung hier.
das kleine alte haus gab es wirklich. ich blieb oft davor stehen und sah in die staubigen fenster. manchmal reflektierten sie das licht auf eigenartige weise. dann dachte ich, ich könnte schemen von personen erkennen. einmal habe ich ihnen gewunken und ich fühlte ein lächeln als antwort. wer weiss schon, was real ist und was nicht? manchmal ist die ratio völlig fehl am platz. vor allem, wenn es um liebe geht, und ich liebte dieses kleine haus sehr. als es dann abgerissen wurde, war es so, als wäre ein lieber, alter bekannter gestorben.
Samstag, 25. September 2010
Mittwoch, 1. September 2010
Das verlassene Haus
Verirrte sich dennoch ein Besucher an diesen Ort, konnte er Raum um Raum durchmessen, ohne auf einen anderen Menschen zu treffen, konnten seine Schritte endlos widerhallen in labyrinthischen Gängen und Höhlen, Erdhöhlen und Stollen, die tief in die Erde führten, unter dem Haus, und ein Gewimmel von sich windenden Würmern mochte er finden...Maden..und zahllose Schnecken, die in Klumpen an den Wänden der Gänge klebten.
Oder er mochte geradewegs Raum um Raum durchschreiten bis zum hintersten Trakt des Gebäudes und sinnend vor der kleinen Holztür stehenbleiben, die neben dem prächtigen Interieur des restlichen Gebäudes beinahe obszön wirkte, wie eine Stalltür, und wie im Traum, ein wenig traurig, mochte er sich fragen, warum gerade er diese Qualen würde erleiden müssen, ein wenig lächeln würde er dann und ein klein wenig schluchzen, während Minute um Minute zäh und langsam verstrich, wie um seinen tiefen Schmerz zu verlängern.
Dahinter. Hinter der Tür. Hinter der Vernunft.
Ein Bröckchen Opium sprühte in der Dunkelheit, sprühte wie eine Wunderkerze aus längst vergessenen Kindertagen. Und ja...er erinnerte sich, wie ein träumender Embryo, zusammengerollt im Schoße der Erinnerung, und für einen Moment, diesen einen Moment, war er geborgen und sicher in seinem brüchigen Haus der Vernunft.
Nichts von den Dingen hinter der Tür war echt.
Er war zu Hause. Lag noch in seinem Bett und träumte. Es war gewiß ein unruhiger Traum, verwirrend, wie so oft in stürmischen, regnerischen Nächten und bald würde er das Geräusch des Weckers hören und erwachen. Zur Arbeit gehen wie an jedem Tag.
Er starrte mit weit geöffneten Augen in die Dunkelheit. Vor ihm brannte ein Stück Bernstein in mystischem Gold, sprühte im Kaleidoskop seiner Tränen und zerplatzte in tausend blutige Glassplitter.
Nichts davon war echt.
Er würde erwachen, ganz gewiß.
Er lief über ein verschneites Feld, das sich in gigantischer Dimension weit bis zum Horizont erstreckte. Sein Atem ging rasch und stoßweise, er lief. Schneller.
In der inneren Kammer regten sich die Schatten. Eine graue Gestalt kauerte im Hintergrund an der Wand. Sie sah aus wie ein Bündel Lumpen oder eine in Fetzen gehüllte Puppe. Ihr strähniges Haar fiel bis zum Boden herab und verdeckte ihr Gesicht. Er starrte angestrengt in die Dunkelheit, versuchte, sich zu erinnern, doch da war nur
das weite Feld, über das er rannte. Sein Atem ging zu schnell, seine Lungen brannten. Er brach mit einem Fuß durch die Schneedecke und stürzte. Mit nach unten gekehrtem Gesicht blieb er liegen. Er schluchzte in den Schnee, versuchte, wieder aufzustehen, weiterzulaufen.
Er konnte nicht mehr.
Mühsam hob er den Kopf und hielt sein brennendes Gesicht in den Wind.
Über den Horizont erstreckte sich ein Streifen blauer Himmel. Eiskalt strömte die Luft in seine Lungen. Sein Mund schmeckte metallisch. Er wußte nicht, ob er sich bei seinem Fall auf die Zunge gebissen hatte, oder ob es die Luft war, die nach Blut schmeckte. Metallisch und scharf wie Blut, das aus einer frischen Wunde fließt.
Sonntag, 8. August 2010
herbstwind
der wind macht heute geräusche wie ein unheimliches grosses graues tier. der himmel bezieht sich rasch, silbrig, ein wechselspiel zwischen blau und eisgrau, dazwischen immer das glitzern. silbern. von unbeschreiblicher fast wahnwitziger schönheit.
das graue tier heult den rest des sommers an.
es hebt die tatzen und kratzt die späte sommerbläue vom himmel.
II
eine in schwarz gekleidete gestalt mit tief in die stirn gezogener kapuze sprüht gerade etwas auf eine hausmauer. vor ihr im gras liegen spraydosen und eine vielzahl kleinerer gegenstände.
ein bild...ist es ein bild? bei genauerem betrachten fällt auf, dass es irgendetwas anderes ist, aber es ist auch ein bild. ein code, eine versteckte nachricht, es ist schwer zu sagen.
die person in schwarz hantiert mit spraydosen in allen erdenklichen grössen sowie mit feinsten schablonen. zierlich und verwirrend nimmt etwas gestalt an, wie eine mathematische formel, die gerade erst erdacht, zum ersten mal geschrieben wird. einiges wird übermalt, anderes überschrieben, schicht um schicht wird das mauerwerk bedeckt mit etwas, das einer schillernden membran gleicht, dann materieller wird, wie um sich zu setzen, langsam mit der wand zu verschmelzen und die wand auf unbegreifliche weise zu zersetzen.
alles geschieht in völliger stille. ab und zu leises klackern, wenn die spraydosen geschüttelt werden, wie murmeln, die aneinander stossen. wenn das bild fertig ist, werden bestimmte dinge für immer anders sein. einige werden die botschaft lesen können, doch es werden wie immer wenige sein. sie werden ausreichen. die anderen existieren weiter, ohne dem bild beachtung zu schenken. vielleicht sehen sie auch nur das graue mauerwerk einer hausmauer.
III
ein kind lehnt sich lachend aus dem fenster. seine haare werden vom herbstwind zerzaust. es sieht den fremden mann unten an der hausmauer stehen. „willst du zu uns?“
eine seltsame freude liegt auf den zügen des kindes, das plötzlich greisenhaft alt erscheint, so als hätte es bereits in jungen jahren alles gesehen, was es zu sehen gilt. der mann betrachtet das greisenhafte kind, lächelt zu ihm herauf und winkt einen freundlichen gruß. dann zwinkert er ihm zu, als gälte es einem geheimen verbündeten ein zeichen zu senden. das kind zwinkert zurück und lacht. der mann stimmt in das fröhliche kinder-greisen-lachen ein.
eine windböe trägt die beiden stimmen über die hügel davon.
IV
„nimm mich mit“, sagt das kind
das geheime mal steht auf seiner stirn wie ein klarer stern
„bald“, sagt der mann. „bewahre du inzwischen das sternklare licht“
Mittwoch, 4. August 2010
Brokenkites presents "The Secret Path"
there are doorways that lead to places as far away as your imagination can carry you... but what if your nightmares can follow you?
Donnerstag, 29. Juli 2010
hinter dem vorhang
an den rändern zerfasert
zersprungene glasscheiben
ein vorhang weht im wind
ich sehe meine hand, die ihn beiseiteschiebt
wie durchsichtig sie geworden ist
ich kann die fingerknochen sehen
es ist winter
es scheint kalt zu sein
ich kann es nicht fühlen
doch ich sehe alles
wie durch die augen einer toten
manchmal liebe ich zu sehr
ein gedanke, der mir durch den kopf geht
ich verstehe ihn nicht
doch ich denke ihn gern
ein hauch wärme lässt die winterbäume leuchten
dahinter dehnt sich der himmel
in endlosem blau
Dienstag, 20. Juli 2010
remember
ich bin doch so vergesslich manchmal
verschwinden dinge in der natur, einfach so? fragt sie aus dem offenen fenster.
können auch menschen einfach so verschwinden? hängt wahrscheinlich davon ab, warum sie verschwinden wollen. alles hängt vom kompass ab.
über den dunkelblauen nachthimmel zucken feine silbrige blitze, die sich über ihre augen legen wie fein verästelte adern.
sie lächelt und geht schlafen.
Montag, 5. Juli 2010
morgenmädchen
heute im zug, ca. um 6.30. der vollmond stand über der einsamen landschaft, die wir durchfuhren, ein perfekter vollmond, riesengross, wie ein gigantischer planet, eine 2. erde. ich dachte noch im halbschlaf, dass ich nun fotografieren sollte, doch die kamera lag in diesem augenblick vergessen auf dem küchentisch, in der dunklen küche, wo sie doch das licht hätte einfangen sollen.
ich war müde, als hätte ich wochenlang nicht geschlafen, ich döste..und erwachte bei sonnenaufgang. bald würde es schneien, die luft war eiskalt, ich war verschlafen und fröstelte, hineingekuschelt in meinen sitz am fenster. der nebel hob sich und liess buntbelaubte bäume erkennen, rauch aus kaminen, die ersten lichter in den fenstern.
ein eigenartiges gefühl, es sich in einem leeren abteil gemütlich einzurichten, beinah wie der versuch, ein stück zuhause mitzunehmen, auf reisen, in einem beinah menschenleeren zug. ich wünschte mir eine decke, am liebsten handgestrickt und warm und kuschelig, oder einen quilt über meinen beinen, und ein grosses wolltuch über meinen schultern.
eine katze auf dem schoss, bienenwachskerzen und heissen kakao.
ich wünschte mir, zuhause zu sein.
im warmen weichen morgennebel mit verschlafenen augen und einem kinderherz
wie anders gestaltet sich eine nächtliche fahrt in einem beinah menschenleeren zug. das abteil leer, die füsse lässig auf dem gegenüberliegenden sitz, rauchend, das fenster geöffnet. der wind bauscht die vorhänge, fährt in die haare und unter die
kleidung. die geräusche des zuges, das schleifen auf den schienen, quietschendes metall und ein zischeln von funken
natürlich kein künstliches licht, unsereins braucht kein licht,
wir sehen in der nacht
wie gespenster
der mond brüllt uns entgegen und unverletzlich lachen wir ihm blutrot entgegen
wie schizophren, murmelt dir die morgenkreatur ins ohr und sieht verletzlich wie aus gesprungenem glas in nebel, dunst
und verquirlte farben hinaus,
hilflos, verletzlich im morgenrot gefangen
ein tag der leiden wenn du menschen begegnest
ein guter tag, wenn du ihnen entkommst
du kleiner märtyrer
die nächtliche kreatur kotzt dem morgenmädchen blut ins gesicht
darunter reflektiert gesprungenes glas die farben des tages
Sonntag, 4. Juli 2010
godspeed, my friend
die verbindung zu einem menschen ist abgerissen, ganz plötzlich, der mensch ist fort. man weiss nicht, wohin er gegangen ist, niemand weiss genaues. auf einmal war er weg.
wer war er?
für viele ein held, was er jedoch konstant ignorierte. vielleicht hätte er es akzeptieren sollen. die liebe, die man ihm entgegenbrachte, war echt. nun, da er gegangen war, versuchten alle, ihr gebrochenes herz durch unsinnige aktivitäten zu kurieren. einige suchten wie verlassene kinder alle orte ab, an denen er jemals gewesen war. sie hofften, ein zeichen seiner präsenz zu finden, doch jeder versuch endete in einer sackgasse. und mit jedem versuch wurde das innere frieren schmerzhafter, bis sie irgendwann realisierten, dass die welt durch den verlust eines solchen menschen nie wieder dieselbe sein würde. die welt wird kälter und kleiner. es ist so, als wäre zuerst dieses weite offene land gewesen, das danach von einem stacheldrahtzaun durchzogen wird. wieder mal den blick auf den weiten horizont versperrt, und man vermisst den freien blick in die weite mehr als alles andere.
die welt wird wieder neu definiert, alles verschiebt sich, alles ist im wandel. neue wunden. neue mauern. wieder mal etwas, womit man nicht gerechnet hätte. und womit man irgendwie klarkommen musste.
jeder auf seine art.
manche setzten sich in einen stillen winkel und betranken sich. dachten an ihn. versuchten, ihren schmerz durch trotz zu bekämpfen. doch es brachte nichts.
das schwarze loch, das in ihre seelen gerissen war, wurde dadurch nicht kleiner. jeden tag wuchs es, jeden tag erinnerte es sie daran, was sie verloren hatten. nicht nur einen mann, sondern ein ganzes universum.
einige, und zu denen gehöre auch ich, versuchen, den schmerz zu einem teil ihres universums zu machen und damit zu leben, ihn zu akzeptieren und zu ertragen. darüber zu schreiben, was im moment noch viel mehr weh tut, als die gefühle zu verdrängen oder zu betäuben. dieser schmerz ist rauh und wie eine offene wunde, aus der blut fliesst. doch ich will nicht, dass sich diese wunde entzündet und gift ausströmt. ich möchte den scharfen schmerz fühlen, der mir die tränen in die augen treibt. kein vergifteter gedanke darf hier gedacht werden. keine bitterkeit, keine vorwürfe. nichts von alldem hat hier platz. es passt nicht zu ihm, nicht zu uns.
der schmerz ist scharf und schneidend wie der herbstwind, der dir tränen in die augen treibt.
und wieder muss ich an ihn denken.
frische kalte luft, eine breite strasse, endlos. das gefühl der freiheit. was für ein mensch.
ein freiheitskämpfer, sagte vor einigen tagen einer zu mir, der es wissen musste.
wenn man einen solchen menschen verliert, verliert man einen teil seiner stärke.
wir sind alle stark, doch in manchen momenten dürfen wir einfach nur klein und traurig sein.
godspeed you, boon dock rod!
Freitag, 25. Juni 2010
Der Herrscher der Welt und sein güldener Stern
Rings um den Friedhof standen die Häuser der alten Judenstadt oder besser, das, was von ihnen noch geblieben war. Ebenso wie die Grabsteine waren sie windschief und ragten in die Gassen hinein, als mochten sie vornüberkippen. Einige alte Leute wohnten noch darin, die jüngeren waren längst weggezogen, in modernere Gegenden mit komfortablen Häusern aus Glas und Stahlbeton. Keiner von ihnen besuchte den Friedhof und auch die Alten blieben weitgehend allein. Die schwarze Gestalt, die wie ein Rabe auf der Lehne der Bank hockte, bemerkten die wenigsten von ihnen. Diejenigen, die sie sahen, zogen gravitätisch den Hut vor ihr oder winkten kurz herüber, so wie man etwas Vertrautem zuwinkt, vielleicht einem Gegenstand in einer staubigen Auslage, den man schon ewig kennt und dem man zuraunt: „Na, noch immer da? Sei froh, du hast es besser als die meisten, du hast deine Ruhe.“ Der schwarzgekleidete, blasse junge Mann erwiderte freundlich jeden Gruss, er hielt jedoch immer Abstand zu ihnen. Bis auf den denkwürdigen Tag im Oktober, als ein Windstoss über die Dächer direkt in den Friedhof sprang, ihm die Haare zauste und dem Herrn vor ihm den Hut entriss, den er kurz zuvor noch weit in die Luft gehalten und geschwenkt hatte. Der Hut rollte auf ihn zu und kam direkt vor der Bank zum Stillstand, dahinter kam schon der alte Herr eilig angelaufen. Der junge Mann war schneller, hob den Hut auf, staubte ihn noch ein wenig ab und gab ihn zurück. Und über dem Hut, der zwischen ihnen auf der Bank lag, entspann sich ein langes Gespräch mit dem Besitzer des entlaufenen Hutes, der sich als Immanuel Rosenkranz vorstellte. Rosenkranz war erstaunt, ihn hier zu treffen, einen jungen Mann, mitten auf dem Friedhof an einem kalten, windigen Tag wie diesem, und noch erstaunter war er, festzustellen, dass er ihn, ohne es bemerkt zu haben, tagein, tagaus gegrüsst hatte. Unbewusst, sagte er, und er habe ihn auch nicht wirklich wahrgenommen, sondern den Eindruck gehabt, als würde ein Rabe auf der Rückenlehne der Bank sitzen und Raben, so Rosenkranz, grüsse man generell, da Raben gegrüsst werden wollen und auch selbst grüssen. „Genau so ist es“, sagte der Rabenmann, „Raben sind gesellige Geschöpfe und nicht halb so unverschämt wie die Krähen, die sich Menschen ja geradezu aufdrängen.“ Ein Gespräch über Krähen folgte, und dann sprachen sie über Bücher und den Wind.
„Ich“, so sagte Rosenkranz nicht ohne Stolz, aber gänzlich frei von Arroganz, „bin der Herrscher der Welt, denn ich besitze eine Bibliothek mit mehreren tausend Büchern und Manuskripten.“ Er holte einen kleinen Gegenstand aus der Manteltasche. „Hier, für dich zur Erbauung“, fuhr er fort und reichte ihm ein in brüchiges Leder gebundenes Büchlein. „Du liest doch Gedichte? Es stammt aus meiner Sammlung, ich habe es heute morgen, ohne weiter nachzudenken, aus dem Regal genommen und eingesteckt. Doch mir fällt gerade ein, dass es in hebräisch geschrieben ist. Verstehst du hebräisch?“ Der Rabe krächzte einige Sätze, die Rosenkranz höchst erfreut zur Kenntnis nahm. Dass er sich gerade mit einem Raben unterhielt, war ihm nicht einmal aufgefallen. „Du musst“, sprach er zu dem grossen, blauschwarzen Vogel, „unbedingt einmal zum Tee kommen und du musst meine Bücher sehen. Wir trinken Tee und unterhalten uns über Literatur.“ „Auf hebräisch“, krächzte der Vogel und deutete eine kleine Verbeugung an, die Rosenkranz unverzüglich erwiderte. „Auf hebräisch“, wiederholte er und erhob sich, streckte dem Vogel seine Hand hin und schüttelte ihm die Schwinge. „Es wird Zeit“, sagte er, „ich hebe mich hinweg.“ „Genauso verhält es sich mit mir“, antwortete der Rabe. „Es gibt heute noch viel zu tun.“ Sie trennten sich und entfernten sich in unterschiedliche Richtungen – der eine ging, der andere ... hüpfte.
Rosa Güldenstern fühlte sich heute jünger, als sie eigentlich war. Jünger, als sie sich fühlen sollte, schalt sie sich und lächelte über sich selbst. Sie warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel, zupfte ihr kleines, schwarzes Hütchen zurecht, das sie immer bei ihren Friedhofsbesuchen trug, und machte sich auf den Weg. Als sie aus der Tür trat, sprang ihr der Wind schon entgegen, ungebärdig wie der Frühlingswind und genauso verwegen. Er querte die Strasse, setzte über die Friedhofsmauer hinweg und sie folgte ihm, wobei sie es vorzog, den Weg wie immer durch das Portal zu nehmen. Als sie dem verschlungenen Pfad zwischen den Steinen folgte und der Wind neben ihr hersprang, dachte sie zum ersten Mal seit Jahren wieder an etwas anderes als an ihre einsame Wohnung, ganz ohne schlechtes Gewissen, was sie einigermassen erstaunte. Sie dachte an die Welt, die hinter den Mauern lag und die der Wind doch kennen musste, Ägypten mit dem breiten schimmernden Band des Nils, Afrika mit seinen gelben Savannen und den fremden, wilden Tieren, Sansibar, dessen Name allein schon nach Abenteuern klang, nach blauen Wellen, Gewürzen und Handelsschiffen aus alter Zeit. Sie sah hinüber zur Mauer, die den Friedhof umschloss, und dachte an den Horizont, der sich über das Meer spannte, so weit das Auge reichte. Ihre Augen schweiften weiter, die Mauer entlang, bis ein Gegenstand, der auf der Bank in der Mauernische lag, ihr Interesse weckte.
Ein Buch, offenbar sehr alt, das auf ihrer Bank lag – ihre Bank deswegen, da sie, ermüdet von den Arbeiten am Grab und noch viel mehr von der Einsamkeit, die bleiern auf ihr lastete, sich oft darauf niedergelassen hatte, um auszuruhen. Diese Bank war ihr geheimes Refugium geworden. Oft hatte sie auf ihrem Weg zum Grab ihres Mannes hinübergelächelt, ohne es zu bemerken. Das alte Buch lag offen da, wie eine Einladung, näherzutreten, es aufzunehmen und darin zu lesen. Sie lächelte, fühlte die Versonnenheit des Augenblicks, wie damals, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war, das sich eingebildet hatte, von wundersamen Momenten wie diesem leben zu können. Dann zögerte sie, überlegte ein bisschen. Es ging sie eigentlich nichts an. Jemand hatte sein Buch vergessen und dieser Jemand würde den Verlust bemerken und wiederkommen, um es sich zu holen. Sie wandte sich zum Gehen, doch da war der Wind, der Frühlingswind, und sprang sie von hinten an, schob und drängte sie vorwärts, bis sie ihm den Gefallen tat und zur Bank trat.
Eine grosse, bläulich schimmernde Rabenfeder lag als Lesezeichen zwischen den Seiten. Sie setzte sich, strich leicht darüber hinweg, las die ersten Zeilen...
Rosenkranz, der noch eine Runde über den Friedhof gegangen war und nun rasch in Richtung Portal ausschritt, sah schon von weitem die kleine Gestalt Rosas auf seiner Bank sitzen. Er kannte sie vom Sehen und Grüssen, doch sie hatten sich nie richtig miteinander unterhalten. Die Gelegenheit hatte sich nie ergeben. Sie beugte sich über einen Gegenstand, den er sogleich erkannte - das Buch, das er jemandem geschenkt hatte, jemandem, an dessen Gesicht sich Rosenkranz nicht erinnern konnte. Er sah Rosa an, zögerte...beinahe hätte seine Unsicherheit gesiegt, er hätte gegrüsst wie immer und dann seinen einsamen Weg durch die Reihen der Gräber genommen.
Wahrscheinlich hätte er es bereut, vor allem dann, wenn er abends beim Tee sass, ein Buch vor sich aufgeschlagen, und sich jemanden wünschte, der seine Gedankengänge mit ihm teilte, sein Fernweh, die Sehnsucht nach etwas, das er nicht besitzen konnte. Der Wind flüsterte davon, schon den ganzen Tag, und Rosenkranz hatte ihn tunlichst ignoriert und das Gefühl, das jedoch sehr angenehm war, weit von sich gewiesen. Ein Gefühl wie eine Reise zurück in die Tage seiner Jugend, die Tage, als er begonnen hatte, sein Fernweh mit Hilfe seiner Bücher zu stillen und Kopfreisen zu unternehmen. Er blieb stehen und sah zu Rosa hinüber. Konnte er es wagen, sie anzusprechen? Er wusste doch gar nichts von ihr. Er kannte nur ihre Stimme, eine leise, sanfte, weich modulierte Stimme, die so gut zu ihr passte. Unfähig, sich von ihrem Anblick zu lösen, stand er linkisch vor ihr und fühlte sich wie ein Schuljunge, der nicht mehr weiter wusste.
Und der Wind gesellte sich zu ihm und umfasste vorsichtig seine Schultern, schob ihn langsam auf Rosa zu, die noch immer vertieft in seinem Buch las. Er sah die Rabenfeder in ihrer Hand – wie ein Erkennungszeichen – und mit der Erinnerung schwand seine Unsicherheit dahin und machte einer tiefen Ruhe und Gelassenheit Platz. „Ich bin der Herrscher der Welt“, flüsterte er und schritt auf Rosa zu.
Epilog
Der Rabe sass nicht weit von ihnen entfernt auf einem Grabstein und beobachtete sie mit seinen schwarzen, glänzenden Augen. Er krächzte vor sich hin und klapperte mit dem Schnabel. Jemand, der gerade jetzt zufällig des Wegs gekommen wäre und den Vogel gewahrt hätte, hätte beschwören können, dass dem Tier eine beinah menschlich wirkende Zufriedenheit anhaftete. „Der Herr der Welt und sein güldener Stern“, kommentierte der Vogel verhalten, wie um die beiden, die sich nun leise miteinander unterhielten, nicht zu stören. Und der Wind, der ihn zu verstehen schien, zauste sein Gefieder, fuhr unter seine Schwingen und hob ihn weit in den Himmel empor.
Donnerstag, 10. Juni 2010
Invictus
Black as the pit from pole to pole,
I thank whatever gods may be
For my unconquerable soul.
In the fell clutch of circumstance
I have not winced nor cried aloud.
Under the bludgeonings of chance
My head is bloody, but unbowed.
Beyond this place of wrath and tears
Looms but the horror of the shade,
And yet the menace of the years
Finds, and shall find, me unafraid.
It matters not how strait the gate,
How charged with punishments the scroll,
I am the master of my fate:
I am the captain of my soul.
William Ernest Henley
Montag, 31. Mai 2010
Sonntag, 23. Mai 2010
der längste tag seines lebens
nicht mal wirtschaftlich waren sie zu gebrauchen. wenn man schon so viel zeit hat, in die stadt zu gehen, sollte man wenigstens gehörend die kreditkarten glühen lassen, das war immer sein credo nummer eins gewesen. nur nie nutzlos sein. rein in die geschäfte und denen mal zeigen, wozu ein nützliches mitglied der gesellschaft fähig ist. die wirtschaft ankurbeln. und nach der arbeit mit den kollegen einen draufmachen, die teuersten speisen bestellen, und beim wein nicht zögerlich sein, der beste ist gerade genug für uns businessmenschen. der wert eines menschen wird daran gemessen, wieviel kohle er hat, ist ja klar. braucht man gar nicht darüber diskutieren, oder? sind eben die dinge des lebens, die man schon mit der muttermilch aufsaugt. nur loser wissen nicht bescheid. und er war nie ein loser gewesen. hatte es weit gebracht in seiner sparte. man blickte zu ihm auf. man hörte auf ihn, ja, man hatte einen heidenrespekt. er hatte einen der top-parkplätze vor der firma. sein bmw stand jetzt da, wo er hingehörte. sein neuer bmw. und seine sekretärin war zucker.
das einzige, was er eben nicht hatte, war freizeit. er hätte sowieso nicht gewusst, wohin er gehen sollte. vielleicht in die stadt, für seine jeweilige freundin was hübsches schweineteures einkaufen, damit sie ihn umso mehr wollte. damit sie sich bei ihren freundinnen blicken lassen konnte. alles sündteure callgirls, da war er ohne illusion. nur dass sie das alles unter liebe abbuchten. er tat es nicht und er war immer damit gut gefahren. liebe? zu seiner arbeit, ja. die firma war seine wahre liebe, immer gewesen. bis zu dem tag...also eigentlich gestern...gestern abend, genau gesagt.
es war ein stinknormaler arbeitstag gewesen. er hatte die streicheleinheiten der zuckermaus im vorzimmer kassiert wie an jedem tag, hatte sich dann mit einigen der üblichen verdächtigen zum mittagessen verabredet, fast alles speichellecker, die an seinen job wollten und ihn umschwärmten wie die fliegen den abfall. schlechter vergleich. jedenfalls zog er immer eine meute bewunderer hinter sich her. man wollte von ihm lernen. seine erfolgsgeschichte hören. und natürlich seine börsentips, darauf waren sie alle scharf. als sie dann gemeinsam in der kantine sassen - für mehr war mittags kaum zeit - war ihm trotz gedränge und geschiebe zwischen den tischen aufgefallen, dass eine gestalt ganz allein an einem tisch gesessen war. ein kollege, einer der besten, der härtesten. ein macher. er sass dort ganz allein, was ungewöhnlich war und man schien seine anwesenheit nicht zu bemerken. die gestalt sass dort, in gedanken versunken, im grauen zwielicht des herbsttages, vor einem glas bier. sein blackberry lag vor ihm auf dem tisch, das handy daneben. unbenutzt. einigermassen seltsam für einen wie den dort. einen, der immer telefonierte, dessen stimme man im stimmengewirr der kantine immer klar ausmachen konnte. er sah noch einmal genauer hin. sein kollege hatte die krawatte gelockert und den hemdkragen geöffnet. er sah aus, als wäre ihm totenübel. aber bald vergass er ihn über der konversation. er hatte andere probleme. sein terminkalender war randvoll und der tag würde noch lang werden.
am abend, als er das bürogebäude verliess, sah er, dass im büro des kollegen noch licht brannte. überstunden. nicht übel. guter mann.
nun befand er sich hier an diesem strand an einem fahlen herbstmorgen, blickte starr aufs wasser und hatte den längsten tag seines lebens vor sich. das wasser sah grau aus, bleiern, unfreundlich. nicht gerade ein tag, an dem man normalerweise an den strand geht, nicht freiwillig, es sei denn, man musste mit sich selbst allein sein. zum ersten mal seit langem hatte er nicht zuhause geschlafen. er war schon zuhause angekommen, hatte es sich vor dem essen mit einem aperitiv vor dem fernseher bequem gemacht, die nachrichten eingeschaltet. dann hatte sein handy geläutet. er hatte den anruf entgegen genommen. 5 minuten danach war er wortlos aufgestanden und hatte seine gemütliche, luxuriöse wohnung verlassen, war in seinen wagen gestiegen und die ganze nacht ohne ziel herumgefahren, bis er sich schliesslich bei morgengrauen hier gefunden hatte, an einem einsamen strand, wo zur hölle auch immer der war. er wusste es nicht. konnte am anderen ende der welt sein und es war ihm egal. genauso wie sein handy, das einsam und stundenlang in seinem auto vor sich hingeläutet hatte.
veruntreuung von firmengeldern. ein riskanter aktiendeal, der schiefgegangen war. er nickte bitter. kann passieren. wenn man sich zu viel zutraut, wenn man es gewohnt ist, immer die richtigen entscheidungen zu fällen, dann konnte sowas passieren. es war das schlimmste, was passieren konnte, aber es konnte nun mal passieren und irgendwie konnte man immer noch etwas geradebügeln, man war ja erfinderisch, man konnte vielleicht noch einiges davon retten, zumindest es versuchen. kein grund, sich einfach so...
er rauchte sich eine zigarette an. irgendwann in dieser nacht hatte er wieder zu rauchen begonnen. einfach gesprungen. der mann hatte familie. eine frau und zwei kinder. und alles, was er ihnen hinterlassen konnte, waren ein paar zeilen, dass es ihm leid täte. klar tat es ihm leid, das hätte er gar nicht erwähnen müssen. keine entschuldigung würde ausreichen, gar keine. dass er ein versager war. so hatte er geschrieben. er hätte versagt und nun war alles zu ende. aus. vorbei. jahrzehntelang geschuftet wie ein blöder, dann eine amoktat und schon war alles vorbei.
er sah den kollegen noch immer vor seinem geistigen auge im herbstlichen zwielicht sitzen. er hätte hingehen sollen. er hatte ja gemerkt, dass der mann völlig hinüber war, aber er war lieber mit seinen leuten zusammengesessen und hatte sich von ihnen honig ums maul schmieren lassen. er sah noch immer die zusammengesunkene gestalt des mannes vor sich. zum ersten mal seit langem kamen ihm die tränen.
er ging einige schritte den strand hinunter, und dann so weit, bis das kühle grau seines bmw ausser sichtweite geriet. er war völlig ratlos. er hatte noch nie so viel zeit gehabt. den ganzen tag lang. freizeit, wie einer, der völlig nutzlos war. er hatte keine eile, von hier wegzukommen. es war ihm egal, was in seinem real life gerade passierte, das er hinter sich gelassen hatte. vielleicht nur für einen tag. den längsten tag seines lebens.
Dienstag, 18. Mai 2010
rebell
in ordnung?
so ungefähr, ja. in ordnung, könnte man so sagen. hast du keine gefühle?
was soll das wieder heissen, hast du keine gefühle? ich hab genug gefühle, darum liebe ich diese gedichte ja so.
ich denke, nur ein gefühlloser mensch kann es ertragen, solche gedichte zu lesen.
was im prinzip schon mal ein widerspruch an sich ist.
hast du..ich meine..hast du kein herz? das dir gerade bricht? wie kannst du es ertragen, von mondlicht und sternen zu faseln, von wäldern und menschen, die auf diese obszöne art und weise so ehrenhaft sind, dass ich kotzen könnte, wie packst du das? schau dich doch mal um, mann, und sag mir, ob es nicht absolut lächerlich ist, hier noch an solche dinge zu glauben. und das machst du auch, oder? du glaubst daran. stimmt's? du tust das.
und hier ist auch schon die lösung des widerspruchs. ich glaube dran, da hast du recht. darum bricht mein herz auch nicht, wie du es so schön poetisch ausgedrückt hast. du hingegen...
was, ich?
du glaubst nichts davon. du hoffst nicht, du glaubst nicht, du hast keinen weg, den du trotz dieser verwirrung, die hier überall herrscht, gehst.. unbeirrt gehst, weil du genau weisst, dass es diesen weg gibt, egal zu welcher zeit wir gerade geboren wurden. du bist zwar nicht innerlich tot, sonst wärst du abgestumpft und dein herz würde sich nicht anfühlen, als würde es gerade brechen. aber du bist fast tot. du steckst zwischen hohen mauern fest und kannst dich nicht mehr bewegen. hast du nicht das gefühl, gefangen zu sein?
könnte man so sagen, ja. und immer wieder gegen mauern zu rennen, und mir den kopf blutig schlagen, und was am schlimmsten ist, das alles auch noch ohne sinn. irgendwann dachte ich, ich lasse es sein. die mauern sind nun mal da und es gibt keinen weg raus. man muss sich damit abfinden.
du hast etwas übersehen. etwas wirklich wichtiges, das sogar in den romantischsten gedichten immer wieder vorkommt. man findet sich nicht mit situationen ab, die schlecht sind. es sind alles rebellen, die da drin vorkommen.
ja, rebellen des geistes, vielleicht, ja. aber was bringt es, ein rebell des geistes zu sein?
das wort nimmt gestalt an. zuerst war immer das wort. kennst du sicher, oder. stammt aus der bibel. ganz wichtige worte.
alter, irgendwie kommt mir vor, als würde ich am meer stehen, gerade jetzt, und da wären da nur das meer, und du, und ich, und ich könnte einfach so sagen, ich will mein leben so und nicht anders leben, und all das würde einfach so klappen. lächerlich, oder?
nur dann lächerlich, wenn lächerlich in diesem zusammenhang heisst, dass du wirklich was kapiert hast. ich würde sagen, du hast was gecheckt.
ok, nehmen wir mal an, ich wäre ein rebell des geistes. ich hab dinge im kopf wie du. ehrenhaftigkeit, ewige suche nach gleichgesinnten und liebe zu menschen und zur natur, was bringt es mir letztendlich ein? ausser immer wieder enttäuscht zu werden?
mh..die enttäuschungen kann ich dir garantieren. die kommen auf dich zu wie das amen im gebet. du erträgst sie und hältst den kopf hoch, du trägst es mit würde und du fängst immer wieder bei null an, egal, was da noch passieren wird. irgendetwas undefinierbares gibt dir kraft, das alles zu packen.
und irgendwann lese ich deine gedichte, ohne dran zugrundezugehen, was?
irgendwann liest du meine gedichte, ja. und irgendwann schreibst du deine eigenen.
ich und gedichte, oh mann. am liebsten würde ich jetzt die mauern volltaggen, ich würd denen gern sagen, was ich von ihnen halte, den säcken da oben. und ich würd worte wählen, die sie betroffen machen, verstehst du? die ihnen ..
das herz brechen?
ja.
verdammt...ja!
Montag, 10. Mai 2010
Why I do not see here the ships...
With sails from the Southern seas?
Why there is no wind and I cannot hear the waves?
All I want is to leave and be with you forever…
My house is like a stone tomb
I feel daft and blind
And I can only see that winter night,
This fear of black streets where you go away…
R. Lutsenko
Dienstag, 4. Mai 2010
a finger to the lips
the lips of truth
are pressed tight
a finger to the lips
tells us
the time has come
for silence
no one will answer
the question
what is truth
the one who knew
the one who was the truth
is gone
~ Tadeusz Różewicz
translated from Polish by Joanna Trzeciak
image via: http://weheartit.com/entry/1774840
Freitag, 16. April 2010
Mittwoch, 14. April 2010
runaway
es gibt momente im leben, die einfach perfekt sind, dachte sie
nur meistens verschläft man sie, oder man hat verlernt, sie wahrzunehmen.
sie war früh aufgebrochen, es war noch dunkel gewesen, die rezeption des hotels war noch nicht besetzt. sie hatte den schlüssel auf den tresen gelegt und war gegangen, ohne sich gedanken darüber zu machen, warum sie ihren urlaub ganz plötzlich unterbrochen hatte. sie wusste es ohnehin. ihr zimmer wäre noch einige tage für sie reserviert gewesen.
sie wollte jedoch etwas anderes. etwas, das sie selbst noch nicht kannte. in ihr uraltes auto steigen und weiterfahren. im auto schlafen, ohne über die möglichen gefahren nachzugrübeln. dass gerade solche aktionen für eine junge frau gefährlich sein könnten, wusste sie natürlich. sie war mit warnungen vor gefahren und bedrohungen aufgewachsen, man hatte sie damit vollgestopft, seit ihrer frühesten kindheit.
geh am abend nicht allein weg,
nimm eine freundin mit, wenn du fortgehst,
geh nicht dahin, wo du am liebsten bist,
spiel nicht im dunklen allein,
komm am abend rechtzeitig nach hause.
dinge wie diese hatte sie sozusagen mit der muttermilch in sich aufgesogen. darin unterschied sie sich nicht von den anderen mädchen, die sie kannte, sie waren alle zu einer generation scheuer rehe oder feiger hasen erzogen worden.
die assoziation mit tieren liess sie kurz lächeln,
vor allem die falsche assoziation, da sie sich eher einer katze verwandt fühlte
zu allem bereit und durchaus fähig sich zu wehren.
auch ohne einen ziegelstein in ihrer handtasche.
jetzt lachte sie und sah auf einmal so jung aus, wie sie sich fühlte.
wie eine göre, die von zuhause weggelaufen war.
sie hatte durchaus nicht vor, am abend rechtzeitig nach hause zu kommen.
Dienstag, 30. März 2010
“I like punk rock. I like girls with weird eyes. I like drugs. I like passion. I like things that are built well. I like innocence. I like and am grateful for the blue collar worker whose existence allows artists to not have to work at menial jobs. I like killing gluttony. I like playing my cards wrong. I like various styles of music. I like making fun of musicians whom I feel plagiarize or offend music as art by exploiting their embarrassingly pathetic versions of their work. I like to write poetry. I like to ignore others’ poetry. I like vinyl. I like nature and animals. I like to be by myself. I like to feel guilty for being a white, American male.”
Kurt Cobain
via: http://loveyourchaos.tumblr.com/post/483919999
Dienstag, 23. März 2010
der rote stern
ein japanisches restaurant, mit sternen im fenster. ich denke noch, wie seltsam. fast zu romantisch für ein japanisches restaurant. ich bleibe vor der auslage stehen, betrachte die sterne und bemerke, dass sie aus feinem papier gefaltet wurden. eine junge frau sitzt mit dem rücken zu mir auf dem boden im lokal. sie ist allein im raum, der einzige gast, aber wahrscheinlich handelt es sich um die besitzerin des ladens. um diese zeit und bei diesem wetter ist es kein wunder, dass niemand mehr unterwegs ist. das bild der frau im hellen licht wirkt seltsam beruhigend auf mich, heimelig, und wunderschön. wie sie so dasitzt, ihr gerader rücken, das lange, schwarze haar, das ihr über den rücken fällt. rund um sie verteilt liegen bögen aus papier. ich sehe erst jetzt, dass sie papier faltet. wahrscheinlich die sterne für die schaufenster-dekoration.
ich habe lust, ans fenster zu klopfen und sie auf mich aufmerksam zu machen.
in diesem augenblick dreht sie sich um und sieht mich durch die fensterscheibe an. ich winke, doch sie erwidert meinen gruss nicht. sie starrt ausdruckslos durch mich hindurch. in der hand hält sie einen grossen, roten stern.
sie ist blind.
ich fühle mich geborgen in ihrem blick. und sie scheint mich auf irgendeine art zu sehen. sie scheint mich zu spüren.
langsam streckt sie die hand aus und hält mir den stern entgegen.
ein teil von mir möchte in diesem moment nur rennen. weg von hier, zurück in die kalte, windige strasse und weiterlaufen, bis ich nicht mehr kann.
und doch möchte ich zu ihr.
ich will den stern.
mein entschluss ist schnell. spontan, wie alles in dieser nacht. ich werde das lokal betreten und dort der einzige gast sein. und ich möchte ihre geschichten hören, spüren, wie sie sich in meinen arm schmiegt wie eine katze.
ich kratze an der tür und sie erhebt sich mit einer geschmeidigen bewegung, um mir zu öffnen.
zwischen uns brennt der rote stern
sein feuer ist alles, was ich wollte, in dieser nacht.
image source: http://deperthes.tumblr.com/post/459546701
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wie viel zeit vergangen ist, kann er nicht sagen. es ist angenehm warm, so angenehm, dass er immer wieder einnickt, dann kommen wieder wachzustände, unterbrochen von klarsichtigen momenten, abwechselnd, hin und herdriftend zwischen bewusstem erleben und unbewusstem handeln, am schluss nur noch das klare sehen nach innen, ohne die hoffnungslosigkeit des traumes. das einzig reale scheint der rote stern zu sein, den er vor sich auf dem tisch sieht, aber sogar der rote stern verändert seine konturen, wird ab und zu zu einer flamme, dann wieder zu einer blüte. und doch weiss er, dass die form und selbst die farbe des sternes vielschichtig ist, dass der stern selbst im grunde nur aus licht besteht
kann es sein, dass man verändert wird, wenn man ihn anfasst?
gibt es langzeitfolgen? fragt er spontan und findet sich selbst wieder mal unsagbar dämlich. wie könnte die frau auch wissen, was er mit langzeitfolgen meint. sie lächelt. es ist ja nur ein stern, sagt sie achselzuckend. gerade darum, antwortet er. was weiss man schon von ihm?
er hat dich aus der kälte gelockt, sagt sie. mit seiner macht hat er dich angezogen. und du weisst, was seine macht ist?
er erinnert sich. an alle tränen, die er immer vergossen hat, um den verstreuten sternenstaub, der sich in unzähligen menschen wiederfindet. wie oft er für sie gebetet hat, ihnen seine letzte kraft gegeben hat.
es war doch alles umsonst. sagt er bitter.
ist es umsonst, wenn ein stern leuchtet? fragt sie.
er sieht sie stumm an.
Montag, 22. März 2010
somewhere someone is thinking of you
Henry Rollins
Sonntag, 24. Januar 2010
ghost drifting through snow
Samstag, 23. Januar 2010
auf der weiten ebene
was ist dein ziel, fragten sie einige, doch eine antwort darauf zu geben, war ihr immer zu schwer gefallen. man kann nicht einfach sitzen bleiben und über ein weit entferntes ziel diskutieren. man muss sich bewegen, damit das ziel wieder klar vor augen tritt. so kam es, dass sie anfing, der sprache zu misstrauen. bewegung ist das ziel. noch nie war ihr bewusst gewesen, was dieser satz eigentlich bedeutet, doch heute ist es leicht, zu verstehen. der weg ist das ziel. und bewegung ist alles. ihr herz fühlt sich befreit an, als sie einen letzten blick zurück wirft, diesmal ohne stirnrunzeln, ohne zorn im blick. sie hätte niemals dort bleiben können, wo sie die letzten jahre verbracht hatte. und sie hatte einiges gelernt in den letzten jahren. umsonst war es also nicht gewesen.
die ersten schritte im frisch gefallenen schnee, fast tänzerisch, leicht. dann beginnt sie, zu laufen.